§ 3. Das Standgewinnen der Vernunft im Urteil. Das Widerspruchsprinzip

Soll sich der Sinn der "exemplarischen Identität" erhalten, so darf das Denken nicht bei der Frage und beim Rückgang auf den absoluten Grund des Seienden stehenbleiben. Denn im Fragen und Rückgang auf den absoluten Grund ist die Wahrheit des Seins unter dem Vorrang der Differenz zwischen Seiendem und Sein vollzogen. Wenn auch von der ursprünglichen Identität des Seienden mit dem Sein ermächtigt - nur so kann sich die radikale Seinsfrage rechtens auf das Seiende wenden und bis zur Subsistenz des unendlichen Seins vorstoßen, die nur aus der wirklich begegnenden Substanz erkannt werden kann -, steht das Denken in der Frage und im Rückgang auf den Grund doch vor allem unter der Macht der Differenz: das Seiende wird überstiegen auf ein tiefer gründendes Sein hin. Bleibt das Denken einseitig von diesem Auseinandertreten des Seienden und des Seins bestimmt, so gerät nicht nur die ursprüngliche Realität des Seienden aus dem Blick, sondern das Sein selbst, das nicht mehr seinen Sinn aus der Realität des Seienden bezieht, gleitet in eine ideale Schwebe, so daß das Denken nicht mehr bis zur Subsistenz des unendlichen Seins vorzustoßen vermag. Damit rückt die "exemplarische Identität" von Sein und Seiend in ihrem Vorrang und ihrer die Differenz an sich haltenden [hal-

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tenden] Kraft ins Vergessen, und das Denken gerät in Gefahr, sich selbst, den allversammelnden Logos", für die eigentliche "Lichtung des Seins" zu halten.

Aus der ursprünglichen Einsicht in die "exemplarische Identität" erfolgt daher im "Gegenstoß" gegen die aufgebrochene Frage die Forderung an das Denken, das Seiende mit dem (gegen dieses zurückgetretene) Sein (wieder) zusammenzuschließen. Diesen Zusammenschluß von Seiendem und Sein nennen wir Urteil. Die im Urteil vollzogene Identität von Seiendem und Sein erweist sich als abkünftig gegenüber der ursprünglichen "exemplarischen Identität". Sie hat die als Frage aufgebrochene Differenz von Seiendem und Sein stets bei sich, indem sie dem Seienden das Sein nur nach bestimmter Maßgabe - im Prädikat - zuspricht. Das Urteil schließt Seiendes und Sein in dem Horizont der Frage zusammen, die es beantwortet. Die überwundene Frage und Differenz ist auch dort noch am Urteil ablesbar, wo es - als Existenzurteil - von jeder prädikativen Bestimmtheit absieht. (Die Aussage: "Das Haus ist" wird entweder als unvollständig empfunden - "Was ist es denn ... ?" - oder aber sie entscheidet sich als Existenzurteil: "Das Haus ist wirklich; dieses Haus gibt es wirklich" gegen die Möglichkeit, daß es dieses Haus nicht gibt.)

Formuliert man diese aus der "exemplarischen Identität" an das Denken ergehende unbedingte Forderung, es nicht bei der Differenz zwischen Seiendem und Sein bewenden zu lassen, sondern Seiendes und Sein nach Maßgabe des im Seienden wirklich offenbaren Seins zusammenzuschließen, als allgemeines Prinzip, so ergibt sich der Widerspruchssatz. Die hierin (und in jedem vermeintlich früheren Satz der Identität) ausgesprochene Identität ist stets eine solche, die die überwundene Differenz und Negation bei sich hält - wie Hegel deutlich gemacht hat (1).

Die - hier im Zusammenhang mit den Vollzügen von Frage und Urteil aufgezeigte - gemeinsame Wurzel von Kausalprinzip und Widerspruchssatz in der sich in der "ontologischen Differenz" durchhaltenden "exemplarischen Identität" von Seiendem und Sein hat wiederum G. Siewerth bereits im "Thomismus als Identitätssystem' herausgestellt. Nach Siewerth enthält "der Widerspruchssatz ohne den Satz der Kausalität keine spekulative Wahrheit" (2).

"Es ist ... einerseits richtig zu sagen, daß das Kausalgesetz nicht aus dem Widerspruchssatz ableitbar ist, da dieser Satz eben nichts enthält als die urteilsgemäße Erfassung der positiven Realität als solcher. Andererseits ist es jedoch der gleiche Inhalt des spekulativen Denkens, nämlich die positive endliche Realität, die als solche den Satz der Kausalität durch das, was

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sie an sich selbst ist, heraufführt, und zwar deshalb, weil die einfache Realität unaufhebbare, absolute Positivität bedeutet, der sich jede Bestimmung irgendwie unterordnen muß. Sofern aber sie der eigentliche Inhalt des Widerspruchssatzes ist und im Kausalgesetz sich wider die ursprüngliche Differenz des Seins erhält, so erscheint das Kausalgesetz selbst als das ,Widerspruchsgesetz des endlichen Seins', oder als das Widerspruchsgesetz nicht der einfachen, sondern der exemplarischen Identität, oder als das ,spekulative Widerspruchsgesetz'" (3).

 

Während im Widerspruchssatz die formelle Identität des Seienden mit seinem Sein im Lichte der "exemplarischen Identität" vollzogen wird, vollzieht der Kausalsatz die "exemplarische Identität" in der Bewegung eines Widerspruchsschlusses: Im Kausalsatz erweist sich die Wahrheit des Seins ausdrücklich gegen die Endlichkeit des Seienden. Die Vernunft setzt sich gegen den Widerspruch durch, der aus den Einsichten der "exemplarischen Identität" und ontologischen Differenz" entsteht. Vom Widerspruchssatz hingegen gilt, daß er als erstes Urteil zwar auch

"in der exemplarischen Teilnahme des Geistes (steht), aber sein Inhalt enthält nichts von dieser Wahrheit. Denn das Seiende oder Sein ist nicht als Grund oder Wirkung begriffen, sondern in seiner einfachen Realität. Es enthält daher keine innere Bewegung etwa vom Seienden zum Sein oder umgekehrt; vielmehr besteht der formelle Charakter dieser Erkenntnis gerade darin, daß sowohl das unmittelbar Seiende (als unmittelbare Realität), als auch das Seiende (als generische Allgemeinheit), wie auch das Sein an sich selbst (ens per se) oder schließlich das 'Sein selbst' als in sich positive, unbezogene Setzung begriffen werden, die das Nichtsein ausschließen" (4).

Wenn Siewerth an dieser Stelle sagt, daß der Widerspruchssatz - das erste aller Urteile - "keine innere Bewegung etwa vom Seienden zum Sein oder umgekehrt" enthalte, dann scheint er hiermit allerdings hinter einer wenige Seiten vorher gemachten wichtigen Feststellung zurückzubleiben:

"Ist aber das erste 'Urteil' die Einigung des Seins mit der endlichen Vernunft, so muß in der 'negativen' Fassung des Satzes sich eine ursprüngliche Gegenbewegung bekunden, die im Urteil selbst zunichte gemacht wird. Denn im ersten Urteil wird das Nichtsein des Seienden als Sein negiert und darin seine positive Einheit und Realität gesetzt" (5).

In der Tat ist hier im "Thomismus als Identitätssystem" wie auch andernorts das Verständnis des Urteilsvollzugs bei Siewerth nicht ganz eindeutig. Da Siewerths Urteilsanalyse eng mit seiner tiefgreifenden Spekulation über das "Nichts" verknüpft ist, wird es zum Verständnis seines Gedankens [Ge-

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dankens] gut sein, etwas näher auf den für sein Werk zentralen Zusammenhang von Urteil und ursprünglichem Vernehmen des Nichts einzugehen, wodurch zugleich der Gang unserer bisherigen Erörterungen weiter verdeutlicht werden soll.

ANMERKUNGEN

1 Wissenschaft der Logik, 2. Buch, 1. Abschn., 2. Kap.

2 Thomismus 204.

3 Ebd. 196.

4 Ebd. 203.

5 Ebd. 200.


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