§ 2. Das Entspringen der Frage. Der "Satz vom Grund"

Aus dem Widerstreit von (ursprünglicher) Identität (des begegnenden anderen mit seinem unendlichen Grund) und Differenz (zwischen dem durch das Zurücktreten des Seins als endlich hervortretenden Seienden und diesem seinem Grund) bricht die Frage auf.

Voraussetzung des Fragens ist einmal das Sein als unendliche Bestimmung der apriorischen Vernunft angesichts einer nur endlichen Aposteriorität nur eine so bestimmte Vernunft kann rastlos und radikal fragen -, zum anderen das Wissen um die ursprüngliche Zusammengehörigkeit des "endlichen Aposteriori" mit seinem unendlichen Grund (diesem selben Sein, das die Vernunft apriorisch bestimmt) - nur so wird verständlich, daß das Fragen "den Dingen auf den Grund" geht (und sie nicht links liegen läßt).

Jedes Fragen ist ursprünglich und letztlich Fragen nach dem Grund: jenem umfassenden Grund, welcher die ganze Bewegung des Seienden, seine Herkunft, seine Gegenwart wie sein Ziel bestimmt (nicht allerdings etwa nach einer bloßen "causa efficiens", worauf ein schon methodisch eingegrenztes Fragen geht).

Der "Satz vom Grund" ist also nur die ins Urteil gefaßte allgemeine Bestimmtheit der Vernunft durch die Frage, die aus dem Vergehen des "Augenblicks des Staunens" und dem Hervorbrechen der Differenz des Seienden zum Sein resultiert.

Diese Bemerkung bedarf angesichts der weitgehenden Verwirrung über Sinn und Begründungsmöglichkeit des "Prinzips vom zureichenden Grund" einiger Erläuterung. Gewöhnlich unterscheidet man in der (neu-)scholastischen Tradition einen "logischen Satz vom Grund" (jedes Urteil muß sich vor der Vernunft als gültig erweisen lassen) und einen "ontologischen Satz vom Grund" (jedes Seiende bzw. jeder Sachverhalt hat einen Seinsgrund [Seins-

Seite 210:

grund]). Als "Sonderfall" des letzteren wird dann das "Kausalitätsprinzip" angesehen (1).

Hieran ist zunächst richtig, daß der Satz vom notwendigen Rückgang auf eine Wirkursache den transzendentalen Sachverhalt der Verfaßtheit unserer Vernunft als Frage nach dem verborgenen Sein nur in einer besonderen Spezifikation ausdrückt, daß also dort, wo man "causa" als bloße Wirkursache und nicht mehr aus dem alles gründenden "actus essendi" verstand, die Aufstellung eines dem Kausalprinzip übergeordneten "Satzes vom Grund" notwendig wurde (2). Im bloßen Nebeneinanderstellen zweier "Sätze vom Grund" ist aber einerseits der innere Zusammenhang von "ontologischem" und "logischem" Grund unbedacht gelassen, andererseits führen beide Sätze, will man sie allgemeingültig verstehen, ad absurdum bzw. in den metaphysischen Idealismus. Der "logische" Satz vom Grund kann seine allgemeine Forderung gerade in bezug auf sich selbst nicht erfüllen. Will man jedoch dem metaphysischen Idealismus, in dem die Subjektivität sich selbst zum letzten Grund von Wahrheit erhebt, oder einem "regressus in infinitum" entrinnen, indem man die letzte Begründung in dem "sich zeigenden Sein des Sachverhalts" gegeben sieht (3), dann hat man die Forderung nach einem "Beibringen" des Grundes angesichts solcher ursprünglichen Evidenz bereits aufgegeben und damit den Sinn des Prinzips entscheidend geändert.

Hinsichtlich der in dem "ontologischen" Satz vom Grund implizierten Anmaßung - die schließlich dazu führt, auch das göttliche Sein noch einmal auf seinen Seinsgrund zu befragen (4) - hat innerhalb des neuscholastischen Denkens bereits F. van Steenberghen Kritik angemeldet (5). Vor allem M. Heidegger hat gezeigt, wie das abendländische Denken "unter die Herrschaft des großmächtigen Prinzips vom beizubringenden Grunde" geraten ist, und den "Satz vom Grund' in seine Schranken gewiesen: Die Forderung von Gründen hat dort "ab"-zubleiben, wo das Sein, der "Ab-Grund", in den Blick tritt (6).

Woher ein metaphysisch verstandenes "Kausalprinzip" (und recht begriffener "Satz vom Grund") allein Sinn und Berechtigung erfahren kann, hat erstmals Gustav Siewerth im "Thomismus als Identitätssystem" eindrücklich aufgewiesen (7). Wir können hier nicht in wenigen Zeilen diese Seite 211:

Gedanken nachzuzeichnen suchen, wollen vielmehr nur die Hauptmomente skizzieren, auf denen der Aufweis ruht.

Die Möglichkeit des Kausalprinzips gründet in dem Zusammen von unbedingter Positivität des Seienden (die Wahrheit des Seienden, wie wir sie oben aus dem Augenblick des Staunens als exemplarische Identität' des Seienden mit seinem absoluten Grund zu beschreiben suchten) und der "ontologischen Differenz" zwischen Seiendem und Sein, wie sie im Hervortreten der Grenze und Wandelbarkeit des Seienden offenbar wird.

"Das Sein ist in der Anschauung konkrete, endliche Substanz. Diese Substanz ist als Wesen endlich determiniert und in ihrem Sein wandelbar und als solche 'mögliches' Sein. Sie ist nicht einfache Wirklichkeit. Damit aber geht sie in der Reflexion auseinander in 'Wirklichkeit' und 'Möglichkeit', 'Dasein' und 'Wesenheit', in die 'Positivität' als solche und die einfache 'Faktizität'.

Diese Differenz ist eine Scheidung des Seins selbst und hervorgerufen durch ihre wesensinnerliche Veränderlichkeit. Indem aber die Wirklichkeit oder das Dasein auf die Seite tritt, ist das Seiende nur aufgelöst und positiv nichts gewonnen, wenn 'Wirklichkeit als solche' oder 'Sein für sich selbst' (ohne die mögliche Wesenheit) nicht auch in sich selbst wirkliche, ermöglichende Realität ist, welche die Realität der endlichen Substanz begreiflich macht. Dies ist jedoch zunächst nicht ausgemacht. Was zunächst gesetzt ist, ist die Auflösung der substantiellen Realität in ihre konstitutiven Prinzipien. Sofern aber das Sein, wiewohl es von sich her nicht potentiell ist, dem Wesen 'zukommt' und im Wesen primär wirklich ist, so ist es, da das Wesen selbst konstitutives Prinzip der Realität ist, für sich selbst gesetzt, nicht reelle Substanz, sondern etwas, über dessen Seinsheit nichts bestimmt werden kann...

Ist das Sein aber nicht reelle Substanz, so hat die Reflexion über das Sein des Seienden dieses nicht nur nicht enthüllt, sondern gänzlich zerstört, wenn dasjenige, was als gründender Akt gegen die mögliche Wesenheit zur Seite trat, ohne diese Möglichkeit in sich selbst 'wirklichkeitslos' wird. Denn damit ist das endliche Seiende in seinem konstitutiven Seinsgrund selbst von der Differenz betroffen und dem Seinssinn der Realität entfremdet. Da aber das Wirklichsein der Substanz der Grund der Realität ist, und da sich unter dieser Rücksicht der volle Sinn der Realität 'im Sein Seite 212:

selbst' erhält, tritt zugleich die exemplarische Identität in ihrer ontologischen Doppelheit und Tiefe hervor und der Sinn der substantiellen Realität bestimmt uneingeschränkt auch das 'Sein als solches'. So hat sich aus dem ursprünglichen Seinssinn der Substanz durch die Differenz von einfacher Positivität und Wandelbarkeit nicht nur die Frage nach dem 'Grund' gestellt, sondern die Betrachtung ihres 'Entstandes' führt zunächst zur einfachen Andersheit des aktuierenden Seins und der Substanz selbst. Indem aber das einfache Sein als solches ohne die Substanz nicht wirklich zu sein scheint, entsteht der Schein des Widerspruchs, daß entweder das wandelbar Wirkliche die Wirklichkeit des einfach positiven Seins ist, oder daß das einfach positive Sein als solches ohne Wirklichkeit sei. Indem gegen den ersten Satz die Wandelbarkeit des Daseins sich geltend macht und der zweite dem Seinssinn als solchen widerspricht, tritt das Kausalprinzip in das Bewußtsein. Es erscheint hier zunächst als die Forderung, daß Sein und Realität nie auseinandernehmbar sind, daß aber zugleich der Unterschied von einfacher Wirklichkeit und endlicher Substanz aufrechtzuerhalten ist. In dieser Forderung aber ist implizit enthalten und eingesehen, daß das Sein exemplarische Identität sei oder daß der einfache Seinssinn in der Differenz von Sein und Seienden, von Grund und Wirkung identisch sei" (8).

Im Hervortreten der Differenz wird die Wahrheit des Seins selbst fraglich. Indem sich aber der ursprüngliche Sinn der Realität - das Sein des Seienden als einfache Positivität, die von sich her nichts mit einer Grenze zu tun hat - erhält und im Sein selbst die Differenz somit "aufgehoben" bleibt, erweist sich nicht nur die Legitimität des Fragens angesichts der Endlichkeit der Seienden - aufgrund der ontologischen Differenz ist das Sein des Seienden fraglich, aufgrund der sich durchhaltenden exemplarischen Identität aber wirklich fragbar -, sondern, indem sich die Vernunft als notwendige Seinsfrage hell wird, leuchtet zugleich die "Notwendigkeit des Kausalprinzips" als die aufgrund der Wahrheit des Seins unaufgebbare Forderung ein, sich nicht bei der Endlichkeit der Seienden zu beruhigen, sondern in ihren absoluten und unendlichen Grund vorzustoßen.

Der ursprünglich vollzogene Kausalschluß ist damit zugleich (unentfalteter) "Gottesbeweis". Nicht also geht den "Gottesbeweisen" ein Kausalprinzip voraus - eine Prämisse, "daß alle Dinge eine Ursache haben. Denn daraus folgte immer nur, daß das Seiende eine Ursache hat, während [wäh-Seite 213:

rend] das Sein der Ursache selbst im Dunkeln bliebe" (9). Sondern das Kausalprinzip selbst hat wie der "Gottesbeweis" Sinn und Grund nur aus jener "exemplarischen Identität", die das Denken über die Endlichkeit des Seienden in den unendlichen Grund zurückzustoßen nötigt (10).

ANMERKUNGEN

1 Vgl. etwa J. de Vries, art. "Satz (Prinzip) vom zureichenden Grund", in: W. Brugger, Philosophisches W”rterbuch 132.

2 Zur Geschichte des Satzes vom Grund s. L. Oeing-Hanhoff, art. "Grund" im LThK.

3 Vgl. J. de Vries, a.a.O.

4 So etwa noch H. Ogiermann, Der metaphysische Satz der Kausalit„t.

5 Ontologie 220-223.

6 S. bes.: Der Satz vom Grund.

7 S. bes. Kap. X 6: "Die Transzendenz durch die Struktur der Teilhabe". - Den Gedankengang Siewerths hat dann u. a. B. Welte (Der philosophische Gl. bei Karl Jaspers [Jas-Seite 211:

pers] 138 ff., bes. 138 A 369) aufgegriffen. A. Guggenberger macht in seiner šbersetzung der "Ontologie" von F. Van Steenberghen eine Anmerkung ber die Diskussion um das Kausalprinzip im deutschsprachigen Raum (ebd. 219-221) und hebt dort die Ausfhrungen Siewerths als eine "letzte Vertiefung und Sicht der Kausatit„t" im Sinne eines Verstehens aus dem "ontologischen Ursprungsverh„ltnis" (221) hervor. - Wo eine solche Erhellung nicht geleistet wird, bleibt es bei einem Widerstreit von Erkl„rungsversuchen, die entweder in der Begrndung des Prinzips das Prinzip bereits implizieren, sich mit dem Pochen auf "Evidenz" zufriedengeben oder schlieálich bei der Feststellung eines "Postulats der theoretischen Vernunft" (J. Hessen) resignieren. Vgl. hierzu auch J. M”ller, Der Geist und das Absolute 207 f. (mit Verweis auf Siewerth 208 A 19).

8 Thomismus 193 f. Zu diesem Gedankengang w„re aus dem "Schicksal der Metaphysik" bes. die Auseinandersetzung mit M. Heidegger heranzuziehen: Gegenber dem "Wirklichen" erweist sich das Sein als "unwirklich". Aufgrund der ursprnglichen Evidenz, daá der Seinssinn vor allem in der Substantialit„t beruht, kann sich das Denken aber nicht bei der bloáen "Unwirklichkeit" des Seins beruhigen. Das Sein bewahrt vielmehr ,in dieser seiner "Unwirklichkeit" den Vorrang eines Ursprnglicheren und "Wirklichenden" (456, vgl. die Zusammenfassung ber das "Wesen des transzendierenden Aufweisens" ebd. 493 f., vgl. auch Sein als Gleichnis Gottes', bes. 37 ff.).

9 Thomismus 195.

10 Einen spekulativen Nachvollzug der thomanischen "quinque viae" hat Siewerth auf der Grundlage des schon im "Thomismus als Identit„tssystem" herausgearbeiteten ursprnglichen Seinsvollzugs der Vernunft - im "Schicksal der Metaphysik" vorgelegt (471-492). - Indem wir hier kurz auf den "Ort" der (kausalen) "Gottesbeweise" innerhalb der Denkbewegung hingewiesen haben (vgl. auch unsere Anmerkung zu den Cartesischen "Gottesbeweisen", Kap. II, õ 2.1), wollten wir zugleich ihre sekund„re Stellung im Ganzen einer von der Theologie her und auf sie hin entworfenen Philosophie andeuten. Sie sind nur innerhalb der Erhellung der M”glichkeit von Offenbarung an dem "Ort" vollziehbar, wo die Differenz des Seienden zum Sein hervorgetreten, die Identit„t von Seiendem und Sein aber noch voll bewuát ist. Die "Gottesbeweise' bleiben zu ihrem inneren Verst„ndnis auf den Zusammenhang des Aufweises der M”glichkeit von Offenbarung angewiesen. Wo die ursprngliche Identit„t von Seiendem und Sein und damit die M”glichkeit von Offenbarung nicht mehr gesehen ist, wird alles "Gottesbeweisen" fragwrdig: Ein Gott, der den ins Absolute verfgten Menschen so an bloá Endliches verwiese, daá die M”glichkeit einer absoluten Selbstverwirklichung des Menschen in seiner "Welt" nicht mehr erkennbar w„re, kann nicht mehr eigentlich als Gott begriffen werden (vgl. o. S. 143 f.).


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