Indem wir den Vollzug des Staunens als einen Augenblick herauszustellen suchten, in dem das Ich in der Einheit mit dem ihm begegnenden anderen und dieses in der "exemplarischen Identität" mit seinem absoluten Grunde gleichsam ruht, als einen Augenblick wirklicher Offenbarung, sind die Fragen aber nur "zur Hälfte" beantwortet. Der Augenblick des Staunens mag wohl eine notwendige Möglichkeitsbedingung der Vollzüge von Frage, Urteil und Zweifel, keinesfalls kann er aber deren hinreichende Möglichkeitsbedingung sein. Es muß gezeigt werden, wie aus dem Staunen die anderen Vollzüge aufbrechen können und - hinsichtlich der uns leitenden Fragestellung - daß der "Augenblick wirklicher Offenbarung" doch nur den Erweis von möglicher Offenbarung hergibt.
Nun besteht das Leben nicht aus einem zeitlosen Augenblick und die ganze Wahrheit nicht im Staunen. Das uns im Staunen begegnende andere vermag die Identität mit seinem absoluten Grund und darum auch unseren Blick nicht an sich zu halten. Im "nächsten Augenblick" vergeht das Staunen, sowie die "Rose" vergeht: sie ist nicht mehr - oder wenigstens nicht mehr in dem Glanz der Schönheit, der die Fülle und ihren Grund spiegelnd in sich zu bergen vermochte. Das Wesen des uns begegnenden anderen tritt in seiner Grenze gegen andere Dinge und als endlich gegen seinen unendlichen Grund hervor. Damit zugleich tritt der unendliche Grund in die Verborgenheit hinter das begrenzte Seiende zurück. Nicht mehr das begegnende andere vermag das unendliche Sein versammelnd in sich zu spiegeln, sondern nur die Vernunft - der versammelnde "Logos" - kann kraft ihres Gedächtnisgrundes den Ein-druck des vergangenen Augenblicks in sich bewahren. Die unendliche Weite der Vernunft und Unbedingtheit ihrer Freiheit tritt damit als "Apriorität" in ihrem Vorrang gegen alles "Aposteriorische" zutage. Da das Seiende das
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Sein nicht an sich zu halten vermag, entsteht der Schein der Idealität des unendlichen Seins gegenüber nur endlicher Realität.Mit der Differenz des Seienden gegen das Sein bricht eine andere Weise des Nichts auf. Das Nichts - ursprünglich nur Widerhall der sich an die menschliche Vernunft absolut gewährenden Freiheit Gottes - erscheint als der Freiheitsraum, den die Vernunft zwischen dem unendlichem Sein und den nur endlichen Dingen durchmißt (1) und als die Differenz der Dinge gegeneinander (2). Doch bevor wir das Nichts weiter bedenken, wollen wir auf die aus der Differenz zwischen Seiendem und Sein entspringenden Vollzüge von Frage und Urteil reflektieren - ohne diese Reflexion allerdings ins Detail führen zu können.
Die hier mehr angedeutete als in ihrem Sinn deutlich aufgezeigte Differenz zwischen Sein und Seiend - die man als solche "ontologisch", nicht etwa nur "ontisch" nennen muß - bedürfte einer eingehenderen Klärung und Abgrenzung besonders gegenüber dem durch Heidegger eingeführten Begriff der "ontologischen Differenz" - was im Rahmen dieser Untersuchung jedoch nicht durchgeführt werden kann. Einige wesentliche Momente wenigstens sollen noch etwas näher gekennzeichnet werden.
1. Diese Differenz zwischen dem begrenzt begegnenden Seienden und seinem unendlichen Seinsgrund ist nicht die ursprünglichste Differenz für das menschliche Vernehmen. Ihr geht (ontologisch) voraus die Differenz zwischen der sich als Huld offenbarenden göttlichen Freiheit und der sich demgegenüber als reines Empfangen erfahrenden menschlichen Vernunft (3). Hier von einer Differenz zwischen "Seiendem" und "Sein" zu sprechen, wäre mißverständlich. Einmal weiß sich die transzendental reflexe menschliche Vernunft in einer solchen Andersheit gegenüber "anderen Seienden", daß wir den aus einem "objektiven" Denken so vorbelasteten Begriff des "Seienden" lieber der "Objektwelt" vorbehalten möchten. Zum anderen hat die im Augenblick des Staunens sich gewährende unendliche Freiheit einen so klaren theo-logischen Sinn gegenüber einem durchaus zwiespältigen Sinn des sich in Urteil, Frage und Zweifel zuschickenden Seins, daß wir auch den Begriff "Sein" zur Bezeichnung der im Staunen begegnenden absoluten Freiheit nur mit Vorbehalt verwenden möchten. (Eine "analogia entis" zwischen dieser Freiheit und jenem Sein, die in beidem den sich zeigenden Gott bzw. den "emanierenden Seinsakt des esse subsistens" erkennt, dürfte erst aus der "analogia fidei" vollzogen werden können.)
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2. Die Differenz zwischen dem begrenzt begegnenden Seienden und seinem unendlichen Seinsgrund ist auch nicht die ursprünglichste hinsichtlich des Verhältnisses des Seienden selbst zu seinem Sein, was schon aus der oben angeführten Unterscheidung zwischen "absoluter" und "exemplarischer" Identität hervorgeht (4). Was bezüglich der Identität zu bemerken war, gilt aber auch hinsichtlich der Differenz: Da unser reflexer Zugang zu der hier ursprünglich (im Augenblick des Staunens) waltenden Differenz immer aus einer solchen Differenz herkommt, in der das Seiende als Grenze gegen das Sein und das Sein als sich dem Seienden ebenso verwehrend wie gewährend erscheint, ist uns die ursprüngliche Differenz, die keinen Widerspruch gegen die Identität des Seienden mit seinem absoluten Grund kennt, nie adäquat erhellbar.
1 Vgl. das Nichts in K. Rahners "Geist in Welt" (s. o. S. 204). Im Raum der Differenz zwischen Seiendem und Sein wird auch das Nichts bei M. Heidegger bedacht, nur daá hier das Nichts als der Freiheitsraum des Subjekts, sondern ursprünglicher aus der Freiheit des sich zuschickenden Seins verstanden ist.
2 Indem so das Nichts in die Sphäre der Objektivität gleitet, wird auch der fließende šbergang zwischen dem "Bösen" und dem "šbel" möglich. Der Mensch vermag im Faktischen nie mehr die Grenze zwischen Schuld und Schicksal aufzulichten; der von ihm gegen die absolute Antwort gesetzten Grenze kommt die Grenze als "Geschick" des Seins selbst entgegen. Die bedrückend erfahrene Endlichkeit in der Welt ist nicht auf ihren letzten Grund hin aufhellbar (ob Tat der göttlichen Freiheit oder der des Geschöpfs). Erst in der Parusie, wo die Grenzen in der völligen Sich-Entbergung Gottes aufgehoben werden, tritt auch die Wahrheit des Bösen an den hellen Tag.
3 S. Kap. IV, § 3, II, 3.
4 S. S. 183 f.