Zu Eingang dieser Arbeit versuchten wir die Notwendigkeit für den Glauben aufzuweisen, sich zu Theologie und Philosophie zu entwerfen, zu einer "kritischen" Philosophie schließlich in dem Sinne, daß sie bis zu den letzten und radikalsten Fragen des Menschen vorzudringen hat (1). Der Ausgangspunkt der vom Glauben entworfenen Philosophie hat die äußerste Frage zu sein, vor die sich der Glaubende durch den begegnenden Menschen gestellt sieht; und wo die Frage selbst nicht mehr zur Ausdrücklichkeit gelangt - weil der Zweifelnde lieber die Dunkelheit wählt als ein getrübtes Licht, alle Ausdrücklichkeit scheut und in eine kaum reflektierte skeptische Grundhaltung flieht -, muß die aus dem Glaubenslicht entworfene Philosophie diese Frage aufzudecken suchen.
So sehr dieser Philosophie auch das Ziel vorgegeben ist - die zu erweisende Möglichkeit der Offenbarung in Jesus Christus -, so sehr sie ihren Weg auch als eine Sache der Theologie selbst erkennt (2): Ausgangspunkt, Methode und Ergebnis müssen auch in der aus dem christlichen
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Glauben entlassenen Philosophie mit den der Philosophie eigenen Mitteln gesucht werden (und müssen dies gerade in dieser Philosophie, insofern sie aus dem Glauben kommt, der sich in den Nachvollzug der äußersten Kenosis Gottes geworfen weiß) (3).
Jedes Philosophieren geht notwendig von einem faktischen Ansatz aus. Jede ernstzunehmende Philosophie ist sich der Faktizität ihres Ansatzes bewußt, d. h. der Tatsache, daß der Ausgangspunkt als faktischer, als "naiv" gewählter, der alles bloß Faktische umgreifenden Zwiespältigkeit von Wahrheit und Schein unterworfen ist und darum zuerst auf seine Geltung hin befragt werden muß, bevor er als Ansatz vor dem kritischen Denken bestehen kann (5). Unterschiedlich aber ist die Art und Weise, wie die Geltungsfrage in der Philosophiegeschichte durchgeführt wurde.
Die notwendige Mindestanforderung, die sich "seit Kant" (6) an die Geltungsreflexion auf das Ausgangsfaktum stellt, ist, daß das "Gegebene" nicht losgelöst von dem subjektiven Vollzug betrachtet werde, in dem es zur Gegebenheit kommt. Jeder philosophische Ansatz, der sich auf die Vorhandenheit von Dingen oder Tatsachen beruft, ohne zu bedenken, daß sie nur dank eines subjektiven Aktes als Vorhandene erkannt werden können und darum auf die subjektive Vermittlung ihrer Gegebenheit reflektiert werden muß, ist von daher als "naiv" im Sinne von unkritisch zu bewerten (7).
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Die Geltungsdifferenz von wahr und falsch, die ein Gegebenes aufgrund seiner Vermitteltheit betrifft (ein unmittelbar Gegebenes unterliegt nicht der Zwiespältigkeit von Wahrheit und Schein) kann zwar grundsätzlich an der subjektiven wie auch an einer über- oder außer-subjektiven "Seite" der Vermittlung liegen. (Daß die "Getrübtheit des Erkenntnislichtes" grundsätzlich nicht nur in der Spontaneität meiner Vernunft, sondern ebensogut in dem "in mich einfallenden Licht" wurzeln kann, wird jedenfalls jeder zugeben, der nicht von vornherein für einen solipsistischen Idealismus optiert hat.)
Die Geltungsreflexion ist jedoch ausschließlich als Reflexion auf die Subjektivität des Subjekts sinnvoll, da möglicherweise ins Spiel kommende außer- bzw. über-subjektive Momente der Vermittlung nicht als reflektierbar gegeben sind (8).
In diesem Zusammenhang kommt einem Gedankengang Descartes' grundlegende Bedeutung zu. Während etwa M. Heidegger, der vom Subjekt nicht adäquat einholbaren Geltungsdifferenz unserer Erkenntnis bewußt, das Ineinander von Verbergung und Entbergung als "Sein" und "Wahrheit" denkt (wobei das "Sein" im Zuschicken von "Helle" wie "Irre" quasi-göttlich-dämonische Züge annimmt), ohne zu versuchen, sich gegen die mögliche Beirrung des Daseins durch das "Sein" zu sichern, entscheidet sich Descartes von vornherein dafür, nur absolut gewisse (und sonst lieber gar keine) Wahrheit gelten zu lassen. Auch er faßt dabei die Möglichkeit einer zwiespältigen Vermittlung, über die das Ich nicht Herr ist, ins Auge. In der großartigen Hypothese eines allmächtigen Lügengeistes konfrontiert er das Ich der größtmöglichen Totalität der dem Subjekt nicht kontrollierbaren Vermittlungen - und findet einen festen Ausgangspunkt in der Subjektivität: Auch ein allmächtiger Lügengeist kann mich nur beirren, indem ich denke (9).
Soll die Geltungsreflexion überhaupt einen Sinn haben, so muß sie zu einem absoluten Boden (10) führen. Geht die Reflexion ins Bodenlose, so
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kann der Ausgangspunkt nie in seiner Gültigkeit erkannt werden. Jedes Philosophieren und - da die Faktizität des Ausgangspunkts auch das seine Voraussetzungen unbedacht lassende Denken betrifft - jedes Denken überhaupt bleibt dann unentrinnbar in der blinden Macht des Faktischen. Sofern die Geltungsreflexion aber notwendig eine Reflexion auf die Subjektivität des Subjekts ist, und zwar auf die Subjektivität als den leistenden Grund von Geltung (da ja die Geltungsdifferenz in der subjektiven Vermittlung ihren Grund hat), muß im Subjekt selbst der absolute Boden der Geltung gefunden werden.
Wie soll das Subjekt diese Reflexion auf sich selbst als auf den absoluten Grund von Geltung vollziehen?
Die Faktizität jedes unmittelbaren Ausgangspunktes scheint aber einzig den allgemeinen (methodischen) Zweifel als wirklich kritischen Ausgangspunkt der Philosophie zuzulassen, da offenbar nur er eine radikal durchgeführte Geltungsreflexion zu leisten vermag. Denn der Zweifel - als der einer nicht entschiedenen Geltungsdifferenz ("wahr" oder "falsch") gemäße Denkvollzug - hat sich grundsätzlich auf jeden möglichen Ausgangspunkt zu richten, sofern er der Faktizität unterworfen ist. Diese Feststellung enthält einen Anspruch an das Philosophieren überhaupt (11).
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Für die Philosophie "seit Kant" stellt sich die Notwendigkeit des universalen methodischen Zweifels in einer besonderen Gestalt dar.
1. Da der Gegenstand nie unmittelbar in seinem "An-sich", sondern stets nur in der Vermittlung des Subjektvollzugs gegeben ist, kann eine kritische Aussage über eine auch unabhängig von dem subjektiven Akt bestehende Realität von Gegenständen erst aufgrund einer Reflexion auf den Subjektvollzug gewonnen werden: der "Immanenz-Standpunkt" als Ausgangspunkt kritischer Philosophie.
2. Da nicht nur jede Gegebenheit, sondern auch die sie vermittelnde Subjektivität in ihren Vollzügen der Faktizität unterworfen ist, muß sich der Zweifel ebenso universal auf die Subjektivität selbst richten.
Die methodische Durchführung des universalen Zweifels als Reflexion auf das Subjekt - auf den absoluten Boden von Geltung in der Subjektivität - wird verschieden sein, je nachdem man den einen oder den anderen Aspekt dieses Ziels in den Vordergrund rückt. So kann sich einmal die Frage mehr auf die Aktualität des Subjekts richten, inwieweit sie Aufschluß über einen letzten Wirklichkeitsgrund gibt ("der absolute Boden"). Zum anderen kann man dieselbe Aktualität in ihrem Geltungsanspruch ins Auge fassen, um so den absoluten Boden in seiner Funktionalität als letzten Geltungsgrund zu erkennen.
In den folgenden Paragraphen wollen wir näher auf drei verschiedene Spielarten des methodisch durchgeführten universalen Zweifels eingehen, um so einen Zugang für die uns leitende Frage zu gewinnen, wie unter der Voraussetzung kritischen Philosophierens, die Möglichkeit von Offenbarung aufgewiesen werden kann.
1S. Einleitender Teil § 1.
2S. Einleitender Teil § 2.
3Vgl. o. S. 26.
4Zum Begriff wie den folgenden Überlegungen vgl. H. Wagner, Philosophie und Reflexion, bes. §§ 3-7.
5Auch ein Thomas von Aquin etwa befragt den Ausgangspunkt seines Philosophierens. (Zur Frage, wie weit diese Ausgangsreflexion bei ihm geht, s. u. S. 92 Anm. 11.) Dies kommt schon, wenn auch nicht so auffällig wie bei einem expliziten "methodischen Zweifel", in seinem Ansatz zu den Gottesbeweisen zum Ausdruck. Die Aussage: "Certum est ... aliqua moveri in hoc mundo" (I 2,3 c) antwortet auf die Frage, ob die Bewegung auch ein hinlänglich gewisses Faktum sei. (Zur Hermeneutik der Interpretation von Aussagen durch die vorgängige Ermittlung der ihnen zugrunde liegenden Fragen vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode 352, und H. J. Finkeldei, Grund und Wesen des Fragens, passim, die ihrerseits auf R. G. Collingwoods "Logic of Question and Answer" verweisen.)
6Hiermit soll keine historische Aussage darüber gemacht sein, wo eigentlich genau in der Philosophiegeschichte die "kopernikanische", "anthropologische", "transzendentale Wende" anzusetzen sei, sondern auf einen wesentlichen Schritt innerhalb des Philosophierens hingewiesen werden, der bei Kant jedenfalls voll zur Geltung kommt.
7Es zeigt sich, daß der für das moderne Denken kennzeichnende Primat der Frage nach der Methode dieselbe Wurzel hat wie der Primat der Frage nach dem Ausgangspunkt im neuzeitlichen Philosophieren. Schon die Frage nach der Geltung des Ausgangspunktes wird zur Frage nach dem vermittelnden Zugang des Subjekts zum Gegenstand, zur Frage nach der "Methode".
8Diese Aussage bedürfte hinsichtlich des je verschiedenen "Objekts" der Geisteswissenschaften, besonders dem der Historie, allerdings einer näheren Spezifikation. Im Verstehen eines Berichts z. B. ist mir eine über-subjektive (über meine eigene Leistung hinausgehende) Vermittlung gegeben, die grundsätzlich durchaus reflektierbar ist. Jedoch wird mir die Vermittlung des Berichterstatters, des Zeugen, erst dann und nur in dem Maße reflektierbar, wie ich selbst einen hermeneutischen Zugang zu seinem Verstehenshorizont habe. Sonst bleibt die Vermittlung in dem Sinne unreflektiert, daß ich das im Bericht Dargestellte mit dem An-sich des Faktums verwechsle.
9Vgl. Med. II (A.-T. VII, 25). Ob es dem Subjekt wirklich gelingt, sich selbst gegen das "Sein" zu sichern - etwa auf dem cartesianischen Wege - ist damit nicht ausgemacht. Nur scheint mir eine Philosophie, die grundsätzlich auf die Frage nach absoluter Gewißheit verzichtet, von vornherein das Wesentlichste der Wahrheit zu verfehlen.
10Auf den weithin unreflektierten Gebrauch des Begriffs "absolut" hat mit Recht H. Krings hingewiesen (Transzendentale Logik 176-179). Besonders problematisch erscheint es, den Begriff in einem streng transzendentalen Philosophieren zu verwenden, in dem das Erste und das Letzte nie ohne eine Weise der Relation gedacht werden kann: Von seiner Wortbedeutung her scheint der Begriff "ab-solut" jede Relation gerade
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auszuschließen. Der Vorteil dieses Begriffs - weswegen er wohl in einem radikalen Philosophieren immer wieder verwandt wird - scheint mir darin zu liegen, daß er einerseits den Charakter der Negation alles Endlichen, Bedingten, Vorläufigen usw. trägt, ohne andererseits in dieser Negation so eng mit einem bestimmten Begriff verbunden zu sein, daß er doch wieder nur als die Entschränkung einer Teilaussage empfunden würde (wie etwa die Begriffe "un-endlich", "un-begrenzt", "un-bedingt" usw., die selten allein gebraucht werden, wo es um eine schlechthin letzte Aussage geht). Er dürfte deswegen eine gewisse Eignung nicht nur für eine "via negationis", sondern auch für die "via eminentiae" mitbringen. "Im übrigen ergibt sich das Unzureichende einer jeden Bezeichnung aus dem Wesen des Vorgriffs" (H. Krings, a.a.O. 179).11Um wieder Thomas von Aquin als ein Exempel für die Philosophie "vor Kant' anzuführen: Auch er kennt den "universalen methodischen Zweifel" als Notwendigkeit für die "prima philosophia". Im Anschluß an Aristoteles sagt er: "illi qui volunt inquirere veritatem non considerando prius dubitationem, assimilantur illis qui nesciunt quo vadunt ... sed ista scientia (nämlich die Metaphysik im Gegensatz zu anderen Wissenschaften, denen es nur um Teilbereiche der Wahrheit geht) sicut habet universalem considerationem de veritate, ita etiam ad eam pertinet universalis dubitatio de veritate" (In Met. III l. 1, nr, 340 et 343). In welchem Sinne diese "dubitatio universalis" des Thomas näherhin aufzufassen ist, bedürfte allerdings eingehender Erörterung (und ist unter Thomisten umstritten). Einerseits versucht auch J. Maréchal - der die o. a. Stelle zitiert - den thomanischen Zweifel klar von dem des Cartesius zu unterscheiden (Le point de départ ..., Cah. V 81-84). Andererseits gibt z. B. auch J. Gredt, der den "absolut universalen methodischen Zweifel" als Ausgang der Philosophie ablehnt (Elementa II, nr. 676-680), zu, daß Thomas jeden Einzelabschnitt der Summa theologiae mit dem methodischen Zweifel beginnt (also wenigstens ein extensiv universaler
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Zweifel!), und liefert selbst (implicite) ein Beispiel des universalen methodischen Zweifels, indem er seine metaphysische Unmöglichkeit retorsiv sicherstellt (n. 677, prob. III. - Zur Retorsion s. § 3 ds. Kap.).