§ 2. An-sich-Sein, Gotteserkenntnis, Möglichkeit der Offenbarung

1. Ähnlich wie J. B. Lotz in der oben diskutierten Urteilsanalyse hat E. Coreth das Sein als den unbedingten und unbegrenzten Horizont des Fragens aufzuweisen versucht (1), und zwar als Horizont absolut gültigen An-sich-Seins. Coreth stellt dabei den inneren Zusammenhang von intensiver und extensiver Letztgültigkeit heraus: von (intensive) absolut gültigem An-sich-Sein kann nur dort gesprochen werden, wo (extensive) der schlechthin unbegrenzte Horizont des Seins überhaupt eröffnet ist (2). Diese Eröffnung des Seins als Horizont unbedingten und unbegrenzten An-sich-Seins sei aber in der Frage gegeben.

"Die Frage setzt ihrem Wesen nach jenseits der Erscheinung 'für mich' eine Geltung 'an sich' voraus..." (3).Sie läßt sich nicht mit einer relativ gültigen, vorläufigen Antwort zufriedenstellen. Der Horizont eines möglicherweise bloßen "Für-mich" ist aber endgültig erst im unbegrenzten Horizont des Seins überstiegen.

"Nun hat sich aber gezeigt: Wir können fragen, wir können nach allem fragen und über alle möglichen Grenzen hinausfragen; unser Fragen und -

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da das Fragen durch ein Vorwissen ermöglicht ist - unser Wissen vollziehen sich also in einem schlechthin unbegrenzten Horizont des Fragens und Wissens" (4).

Wie bei Lotz das Urteil, so ist aber auch diese Voraussetzung der Frage nach ihrer Berechtigung zu befragen. Aus dem bloßen Fragenkönnen läßt sich nicht notwendig ein "Vorwissen" erschließen. Ebensogut könnte es sich hier um das bloße Vorgeben eines Wissens handeln. Solange die Berechtigung der Frage nicht geklärt ist, ergibt die Voraus-Setzung eines noch so gültigen und unbegrenzten An-sich-Seins immer nur "An-sich-Sein-für-mich" (5).

E. Coreth - wie schon J. B. Lotz in seiner Urteilsanalyse - versäumt es, nach der eigentlichen Evidenz des Fragevollzugs zu fragen. Diese ist nicht in der Selbstbegründung des Fragens durch Weiterfragen gegeben, sondern einzig von der fraglichen "Sache" her. Gibt sie die Frage auf, und zwar als eine solche, die bei Vorletztem nicht haltmachen darf, so ist die Frage berechtigt und das Sein hat sich gezeigt als der absolute Horizont, in dem die Sache steht. Es hat also wenig Sinn, die Fragestruktur selbst zu analysieren (und damit möglicherweise ein Fragen, das nichts mit der Sache zu tun hat), wenn nicht zugleich der die Frage legitimierende Ursprung im Blick steht. Solange die Berechtigung des Fragens nicht ausgewiesen ist, bleibt die ganze Problematik des Seinsbegriffs bestehen, die oben am Zusammenhang der Lotzschen Urteilsanalyse aufgezeigt wurde.

Sie bleibt bestehen für jeden weiteren Schritt der Begründung der Metaphysik, den Coreth konsequent aus seinem Ansatz entwickelt, auch schließlich für die Entfaltung der Gotteserkenntnis (6). Dies hier im einzelnen aufzuzeigen, ist nicht möglich.

2. Nur auf eine Stelle soll noch eingegangen werden, an der Coreth einer kritischen Überwindung des Relativismus und subjektiven Idealismus m. E. am nächsten kommt, auf seinen Aufweis des "Objekts an sich" (7). Bemerkenswert gegenüber dem Aufweis des "An-sich-Seins von Anderem" in "Metaphysik als Aufgabe" (8) ist schon der veränderte Kontext. Dort ergab sich für Coreth die Seinserfahrung aus der Gewißheit des Selbstvollzugs (9). Aus der Differenz des Ich gegenüber dem Sein entsprang erst die Möglichkeit der Erkenntnis von Anderem (10). Der daraus resultierende

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Widerspruch, daß das Andere zwar erst aus meiner Begrenzung gegenüber dem Sein erkannt werden soll, andererseits aber doch gerade die Möglichkeitsbedingung der Erfahrung meiner Begrenzung ist, wird im Grunde unaufgelöst stehengelassen als "eine notwendige Dialektik" (11).

Jetzt hat Coreth den entsprechenden Aufweis in einen anderen Zusammenhang gestellt. Einmal soll die Seinserkenntnis nicht mehr direkt aus der Gewißheit des Selbstvollzugs aufgewiesen werden, sondern vorgängig aus dem Horizont des Fragens (12), zum anderen wird das "Objekt an sich" auch nicht mehr aus der Ich-Gewißheit abgeleitet, sondern ebenfalls als Möglichkeitsbedingung der Frage aufgezeigt.

"Wenn ich frage: was ist das?, so setze ich mir ein Anderes als das Gefragte entgegen; ich setze im Vollzug des Fragens den Gegensatz von Subjekt und Objekt des Fragens. Ich weiß schon um das Objekt, sonst könnte ich noch nicht danach fragen; es ist im Wissen gesetzt. Aber ich weiß es noch nicht ganz, noch nicht erschöpfend in allem, was es ist und wie es ist, sonst könnte ich nicht mehr danach fragen; es wird also vom Wissen vorausgesetzt. Ich weiß gerade noch nicht und will erst erfahren, was es über mein bisheriges Wissen hinaus ist. Ich will nicht nur wissen, als was es in meinem Wissen gesetzt ist; danach brauche ich nicht erst zu fragen und danach kann ich nicht mehr fragen. Sondern ich will wissen, was es über das in meinem Wissen Gesetzte hinaus, mein bisheriges Wissen übersteigend, an sich selbst 'ist'; nur danach kann ich fragen und danach muß ich noch fragen. Das heißt aber: Die Frage ist nur möglich, insofern sie das im Wissen gesetzte Objekt übersteigt auf das vom Wissen vorausgesetzte Objekt. Das Objekt aber, insofern es nicht erst im Vollzug des Wissens gesetzt, sondern von diesem vorausgesetzt ist - als fragbar und wißbar in dem, was es an sich selbst ist -, nennen wir das Objekt an sich" (13). "

Wichtig ist ... die Feststellung, daß ein Idealismus seinem Wissen gemäß das Phänomen des Fragens nicht zu bewältigen imstande ist. Für den Idealismus ist Wissen wesentlich produktive Setzung eines Gewußten. Zwar kann auch eine Analyse der Setzung des Wissens über einen subjektiven Idealismus hinausführen, insofern die Setzung im Urteil geschieht, das Urteil aber über das, was ist', eine vorgängige Einsicht in das, was , ist' voraussetzt, sich somit selbst als eine nachvollziehende Setzung versteht, welche den Gegenstand zwar im Wissen setzt, aber im Sein voraussetzt. Viel unmittelbarer jedoch offenbart der Vollzug des Fragens ein vorausgesetztes Sein, das nicht erst im Vollzug gesetzt, sondern als Bedingung der Möglichkeit des Vollzugs vorgegeben ist und als vorgegeben gewußt ist. Die Frage läßt sich in ihrem Wesen gar nicht anders verstehen und auslegen als im realistischen Sinn: als Wissen-Wollen dessen, was vor meinem Wissen und außer meinem Wissen 'an sich' ist" (14).

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Es bleibt zwar auch für diese Analyse Coreths bestimmend, daß sich "die Frage" im Hinblick auf ihre Voraussetzungen zuvor als berechtigt ausweisen müßte, damit das hier aufgezeigte "Objekt an sich" wirklich im realistischen Sinne verstanden werden darf. Diese Legitimation ist jedoch ohne die Evidenz des fraglichen "Objekts an sich" nicht zu erbringen (15). Zweifellos hat Coreth hier aber den Finger auf ein wichtiges Argument gegenüber dem subjektiven Idealismus gelegt. Wo das Subjekt sich wirklich fragend erfährt, in eine Frage geworfen, die sich einerseits nicht als eigenmächtige Setzung fortinterpretieren, andererseits nicht bei vorläufigen Antworten beruhigen läßt, dort versagt tatsächlich jede idealistische Interpretation und subjektive Relativierung: Ich bin von anderem (bzw. von dem Anderen) so überfallen, daß ich mich weder seiner Gegenwart noch seiner Andersheit entwinden kann.

3. Hiermit ist zugleich die Richtung angedeutet, in der von dem Ansatz, der Frage her das Problem der Möglichkeit von Offenbarung angegangen werden könnte: Indem die Interpretation der Frage auf die begegnende Sache selbst blickt, nicht nur den Fragevollzug als solchen analysiert.

Von Coreths Ansatz in seiner "Metaphysik" aus ist jedoch die Erkenntnis der Möglichkeit von Offenbarung nicht zureichend zu vermitteln.

Dies zeigt schon seine Entfaltung der "Gottesbeweise".

Wir vollziehen in allem Wissen um Seiendes ein ursprünglich unmittelbares Wissen um die Notwendigkeit oder Absolutheit des Seins, die in allem Wissen als Bedingung seiner Möglichkeit vorausgesetzt ist ... Die Notwendigkeit oder Absolutheit des Seins ist aber implizit schon die Notwendigkeit des absoluten Seins selbst. Doch wird dieses erst explizit erkannt, wenn es abgehoben wird vom endlichen Seienden ...". "... die Erkenntnis Gottes (ist) nicht eigentlich ein Aufstieg des Denkens zu bisher völlig Unbekanntem ... , sondern eine explizite Entfaltung und Auslegung des Wissens um die Notwendigkeit des Seins, und zwar durch Ausschaltung des endlichen Seienden (das nicht das notwendige Sein selbst ist) und durch Abhebung des Unendlichen (das sich jenseits des endlichen Seienden als das Sein selbst erweist)" (16).

Hier bleibt fraglich, wieso sich die Gotteserkenntnis "in allem Wissen um Seiendes" vollzieht, wenn dieses Seiende doch nur die Folie bildet, von der das notwendige und absolute Sein sich "abhebt" und man dieses dadurch erkennt, daß jenes "ausgeschaltet" wird. Wird Gott in ein so

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begriffenes "Jenseits" des "Endlichen" gerückt, dann ist es unmöglich, ihn "im Fleische" zu erwarten. Das "Endliche" bleibt in sich indifferent zum Absoluten, gleichgültiges Material der sich auf Gott hin vollziehenden Subjektivität.

Derselbe Sachverhalt wird durch Coreths Analyse der Freiheit bestätigt.

"Der endliche Geist ... vollzieht sich zwar - als Geist - im Horizont der unbedingten Ganzheit des Seins. Weil er aber - als endlicher Geist - in seinem Vollzug diese Ganzheit nicht einholen kann, kann er auch nicht den Bedingungszusammenhang, in welchem das Seiende gesetzt ist, vollkommen nachvollziehen. Vielmehr muß er einzelnes Seiendes aus der Ganzheit herausgreifen und, obwohl es bedingt ist, unbedingt setzen: Er setzt - wissend und wollend - dieses und nicht jenes in der Unbedingtheit dessen, was es an Sein und Wert besitzt, obwohl dieses durch jenes - und durch alles bedingt ist. Der endliche Geist vollzieht also eine Unbedingtsetzung von Bedingtem. Weil aber Bedingtes, in einem Bedingungszusammenhang Gesetztes, niemals selbst der Grund dafür sein kann, daß dieses und nicht jenes unbedingt gesetzt wird, geschieht die Setzung notwendig aus freier Selbstbestimmung des Geistes. So hat sich der Begriff der Freiheit fortbestimmt: Unbedingtsetzung von Bedingtem ist Freiheit" (17).

"Freiheit gibt es wesentlich nur gegenüber endlichen und darum kontingenten Gütern; ihnen gegenüber ist aber der Geist, der sich wesentlich im Horizont des Guten überhaupt vollzieht, ebenso wesentlich frei. Wäre ihm ein schlechthin unendliches und unbedingtes Gut gegeben, das alle Gutheit, somit den Horizont der Gutheit überhaupt erschöpft, so wäre der Vollzug nicht mehr frei, sondern notwendig" (18).

Damit die menschliche Freiheit gewahrt bleibt, muß das begegnende andere indifferent gegen das Absolute sein. Erst durch meine Setzung wird es unbedingt. Von sich her kann das andere keinen unbedingten Anspruch erheben (19).

Ein solches Verständnis der Freiheit sowohl wie der begegnenden Realität scheint keinen Weg auf die zureichende Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit von Offenbarung offenzulassen.

ANMERKUNGEN

1 S. bes. §§ 10-12 seiner "Metaphysik".

2 Von hierher erfolgt Coreths Kritik an dem Ansatz der neueren Erkenntniskritik zur Begründung der Metaphysik im Ausgang von der Evidenz eines einzelnen Sachverhaltes.

3 A.a.O. 123.

4 Metaphysik 129.

5 Vgl. auch die Kritik A. Pechhackers (Das transzendentale Verfahren, 2. Teil).

6 Metaphysik §§ 91-100.

7 Metaphysik § 17, 147-149.

8 66-70.

9 Metaphysik als Aufgabe 53 ff.

10 Ebd. 66 f.

11 Vgl. ebd. 69.

12 So wird man Coreth trotz der oben aufgezeigten Widersprüchlichkeit verstehen dürfen.

13 Metaphysik 147.

14 Ebd. 148 f., vgl. auch E. Coreth, Die Gestalt einer Metaphysik heute 248; C. Cirne-Lima, Der personale Glaube 82 f. - H. Wagner (Philosophie und Reflexion 24) erwähnt

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eine ähnliche Argumentation, die nach ihm jedoch noch "keineswegs völlig durchschlagend" ist. Positiver wertet H. Holz die Corethsche Argumentation (Transzendentalphilosophie und Metaphysik 219).

15 Insofern ist der Kritik Pechhackers recht zu geben: Das transzendentale Verfahren 40-42.

16 Metaphysik 498 f. - unsere Hervorhebung.

17 Metaphysik 400 f.

18 Ebd. 403. Konsequenterweise spricht Coreth der göttlichen Liebe zu sich selbst die Freiheit ab (ebd.).

19 Zum Freiheitsbegriff in der Maréchalschule s. auch Abschn. 2, Kap. 4, § 3 II, 3 d. Zur Auslegung der Interpersonalität bei Coreth s. u. Abschn. 2, Kap. 4, § 3 I, 3.


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