1. Ähnlich wie J. B. Lotz in der oben diskutierten Urteilsanalyse
hat E. Coreth das Sein als den unbedingten und unbegrenzten Horizont
des Fragens aufzuweisen versucht (1), und zwar als Horizont absolut
gültigen An-sich-Seins. Coreth stellt dabei den inneren Zusammenhang
von intensiver und extensiver Letztgültigkeit heraus: von
(intensive) absolut gültigem An-sich-Sein kann nur dort gesprochen
werden, wo (extensive) der schlechthin unbegrenzte Horizont des
Seins überhaupt eröffnet ist (2). Diese Eröffnung des
Seins als Horizont unbedingten und unbegrenzten An-sich-Seins
sei aber in der Frage gegeben.
"Die Frage setzt ihrem Wesen nach jenseits der Erscheinung
'für mich' eine Geltung 'an sich' voraus..." (3).Sie läßt
sich nicht mit einer relativ gültigen, vorläufigen Antwort
zufriedenstellen. Der Horizont eines möglicherweise bloßen
"Für-mich" ist aber endgültig erst im unbegrenzten
Horizont des Seins überstiegen.
"Nun hat sich aber gezeigt: Wir können fragen, wir können
nach allem fragen und über alle möglichen Grenzen hinausfragen;
unser Fragen und - Seite 85:
da das Fragen durch ein Vorwissen ermöglicht ist - unser
Wissen vollziehen sich also in einem schlechthin unbegrenzten
Horizont des Fragens und Wissens" (4).
Wie bei Lotz das Urteil, so ist aber auch diese Voraussetzung
der Frage nach ihrer Berechtigung zu befragen. Aus dem bloßen
Fragenkönnen läßt sich nicht notwendig ein "Vorwissen"
erschließen. Ebensogut könnte es sich hier um das bloße
Vorgeben eines Wissens handeln. Solange die Berechtigung der Frage
nicht geklärt ist, ergibt die Voraus-Setzung eines noch so
gültigen und unbegrenzten An-sich-Seins immer nur "An-sich-Sein-für-mich" (5).
E. Coreth - wie schon J. B. Lotz in seiner Urteilsanalyse - versäumt
es, nach der eigentlichen Evidenz des Fragevollzugs zu fragen.
Diese ist nicht in der Selbstbegründung des Fragens durch
Weiterfragen gegeben, sondern einzig von der fraglichen "Sache"
her. Gibt sie die Frage auf, und zwar als eine solche, die bei
Vorletztem nicht haltmachen darf, so ist die Frage berechtigt
und das Sein hat sich gezeigt als der absolute Horizont, in dem
die Sache steht. Es hat also wenig Sinn, die Fragestruktur selbst
zu analysieren (und damit möglicherweise ein Fragen, das
nichts mit der Sache zu tun hat), wenn nicht zugleich der die
Frage legitimierende Ursprung im Blick steht. Solange die Berechtigung
des Fragens nicht ausgewiesen ist, bleibt die ganze Problematik
des Seinsbegriffs bestehen, die oben am Zusammenhang der Lotzschen
Urteilsanalyse aufgezeigt wurde.
Sie bleibt bestehen für jeden weiteren Schritt der Begründung
der Metaphysik, den Coreth konsequent aus seinem Ansatz entwickelt,
auch schließlich für die Entfaltung der Gotteserkenntnis (6).
Dies hier im einzelnen aufzuzeigen, ist nicht möglich.
2. Nur auf eine Stelle soll noch eingegangen werden, an der Coreth
einer kritischen Überwindung des Relativismus und subjektiven
Idealismus m. E. am nächsten kommt, auf seinen Aufweis des
"Objekts an sich" (7). Bemerkenswert gegenüber dem
Aufweis des "An-sich-Seins von Anderem" in "Metaphysik
als Aufgabe" (8) ist schon der veränderte Kontext. Dort
ergab sich für Coreth die Seinserfahrung aus der Gewißheit
des Selbstvollzugs (9). Aus der Differenz des Ich gegenüber dem
Sein entsprang erst die Möglichkeit der Erkenntnis von Anderem (10).
Der daraus resultierende Seite 86:
Widerspruch, daß das Andere zwar erst aus meiner Begrenzung
gegenüber dem Sein erkannt werden soll, andererseits aber
doch gerade die Möglichkeitsbedingung der Erfahrung meiner
Begrenzung ist, wird im Grunde unaufgelöst stehengelassen
als "eine notwendige Dialektik" (11). Jetzt hat Coreth den
entsprechenden Aufweis in einen anderen Zusammenhang gestellt.
Einmal soll die Seinserkenntnis nicht mehr direkt aus der Gewißheit
des Selbstvollzugs aufgewiesen werden, sondern vorgängig
aus dem Horizont des Fragens (12), zum anderen wird das "Objekt
an sich" auch nicht mehr aus der Ich-Gewißheit abgeleitet,
sondern ebenfalls als Möglichkeitsbedingung der Frage aufgezeigt.
"Wenn ich frage: was ist das?, so setze ich mir ein Anderes
als das Gefragte entgegen; ich setze im Vollzug des Fragens den
Gegensatz von Subjekt und Objekt des Fragens. Ich weiß schon
um das Objekt, sonst könnte ich noch nicht danach fragen;
es ist im Wissen gesetzt. Aber ich weiß es noch nicht ganz,
noch nicht erschöpfend in allem, was es ist und wie es ist,
sonst könnte ich nicht mehr danach fragen; es wird also vom
Wissen vorausgesetzt. Ich weiß gerade noch nicht und will
erst erfahren, was es über mein bisheriges Wissen hinaus
ist. Ich will nicht nur wissen, als was es in meinem Wissen gesetzt
ist; danach brauche ich nicht erst zu fragen und danach kann ich
nicht mehr fragen. Sondern ich will wissen, was es über das
in meinem Wissen Gesetzte hinaus, mein bisheriges Wissen übersteigend,
an sich selbst 'ist'; nur danach kann ich fragen und danach muß
ich noch fragen. Das heißt aber: Die Frage ist nur möglich,
insofern sie das im Wissen gesetzte Objekt übersteigt auf
das vom Wissen vorausgesetzte Objekt. Das Objekt aber, insofern
es nicht erst im Vollzug des Wissens gesetzt, sondern von diesem
vorausgesetzt ist - als fragbar und wißbar in dem, was es
an sich selbst ist -, nennen wir das Objekt an sich" (13). " Wichtig
ist ... die Feststellung, daß ein Idealismus seinem Wissen
gemäß das Phänomen des Fragens nicht zu
bewältigen imstande ist. Für den Idealismus ist Wissen
wesentlich produktive Setzung eines Gewußten. Zwar kann
auch eine Analyse der Setzung des Wissens über einen subjektiven
Idealismus hinausführen, insofern die Setzung im Urteil geschieht,
das Urteil aber über das, was ist', eine vorgängige
Einsicht in das, was , ist' voraussetzt, sich somit selbst als
eine nachvollziehende Setzung versteht, welche den Gegenstand
zwar im Wissen setzt, aber im Sein voraussetzt. Viel unmittelbarer
jedoch offenbart der Vollzug des Fragens ein vorausgesetztes Sein,
das nicht erst im Vollzug gesetzt, sondern als Bedingung der Möglichkeit
des Vollzugs vorgegeben ist und als vorgegeben gewußt ist.
Die Frage läßt sich in ihrem Wesen gar nicht anders
verstehen und auslegen als im realistischen Sinn: als Wissen-Wollen
dessen, was vor meinem Wissen und außer meinem Wissen 'an
sich' ist" (14).
Seite 87:
Es bleibt zwar auch für diese Analyse Coreths bestimmend,
daß sich "die Frage" im Hinblick auf ihre Voraussetzungen
zuvor als berechtigt ausweisen müßte, damit das hier
aufgezeigte "Objekt an sich" wirklich im realistischen
Sinne verstanden werden darf. Diese Legitimation ist jedoch ohne
die Evidenz des fraglichen "Objekts an sich" nicht zu
erbringen (15). Zweifellos hat Coreth hier aber den Finger auf ein
wichtiges Argument gegenüber dem subjektiven Idealismus gelegt.
Wo das Subjekt sich wirklich fragend erfährt, in eine Frage
geworfen, die sich einerseits nicht als eigenmächtige Setzung
fortinterpretieren, andererseits nicht bei vorläufigen Antworten
beruhigen läßt, dort versagt tatsächlich jede
idealistische Interpretation und subjektive Relativierung: Ich
bin von anderem (bzw. von dem Anderen) so überfallen, daß
ich mich weder seiner Gegenwart noch seiner Andersheit entwinden
kann.
3. Hiermit ist zugleich die Richtung angedeutet, in der von dem
Ansatz, der Frage her das Problem der Möglichkeit von Offenbarung
angegangen werden könnte: Indem die Interpretation der Frage
auf die begegnende Sache selbst blickt, nicht nur den Fragevollzug
als solchen analysiert.
Von Coreths Ansatz in seiner "Metaphysik" aus ist jedoch
die Erkenntnis der Möglichkeit von Offenbarung nicht zureichend
zu vermitteln.
Dies zeigt schon seine Entfaltung der "Gottesbeweise".
Wir vollziehen in allem Wissen um Seiendes ein ursprünglich
unmittelbares Wissen um die Notwendigkeit oder Absolutheit des
Seins, die in allem Wissen als Bedingung seiner Möglichkeit
vorausgesetzt ist ... Die Notwendigkeit oder Absolutheit des Seins
ist aber implizit schon die Notwendigkeit des absoluten Seins
selbst. Doch wird dieses erst explizit erkannt, wenn es abgehoben
wird vom endlichen Seienden ...". "... die Erkenntnis
Gottes (ist) nicht eigentlich ein Aufstieg des Denkens zu bisher
völlig Unbekanntem ... , sondern eine explizite Entfaltung
und Auslegung des Wissens um die Notwendigkeit des Seins, und
zwar durch Ausschaltung des endlichen Seienden (das nicht
das notwendige Sein selbst ist) und durch Abhebung des Unendlichen
(das sich jenseits des endlichen Seienden als das Sein
selbst erweist)" (16).
Hier bleibt fraglich, wieso sich die Gotteserkenntnis "in
allem Wissen um Seiendes" vollzieht, wenn dieses Seiende
doch nur die Folie bildet, von der das notwendige und absolute
Sein sich "abhebt" und man dieses dadurch erkennt, daß
jenes "ausgeschaltet" wird. Wird Gott in ein so Seite
88: begriffenes "Jenseits" des "Endlichen"
gerückt, dann ist es unmöglich, ihn "im Fleische"
zu erwarten. Das "Endliche" bleibt in sich indifferent
zum Absoluten, gleichgültiges Material der sich auf Gott
hin vollziehenden Subjektivität.
Derselbe Sachverhalt wird durch Coreths Analyse der Freiheit bestätigt.
"Der endliche Geist ... vollzieht sich zwar - als Geist -
im Horizont der unbedingten Ganzheit des Seins. Weil er aber -
als endlicher Geist - in seinem Vollzug diese Ganzheit nicht einholen
kann, kann er auch nicht den Bedingungszusammenhang, in welchem
das Seiende gesetzt ist, vollkommen nachvollziehen. Vielmehr muß
er einzelnes Seiendes aus der Ganzheit herausgreifen und, obwohl
es bedingt ist, unbedingt setzen: Er setzt - wissend und wollend
- dieses und nicht jenes in der Unbedingtheit dessen, was es an
Sein und Wert besitzt, obwohl dieses durch jenes - und durch alles
bedingt ist. Der endliche Geist vollzieht also eine Unbedingtsetzung
von Bedingtem. Weil aber Bedingtes, in einem Bedingungszusammenhang
Gesetztes, niemals selbst der Grund dafür sein kann, daß
dieses und nicht jenes unbedingt gesetzt wird, geschieht die Setzung
notwendig aus freier Selbstbestimmung des Geistes. So hat sich
der Begriff der Freiheit fortbestimmt: Unbedingtsetzung von
Bedingtem ist Freiheit" (17).
"Freiheit gibt es wesentlich nur gegenüber endlichen
und darum kontingenten Gütern; ihnen gegenüber ist aber
der Geist, der sich wesentlich im Horizont des Guten überhaupt
vollzieht, ebenso wesentlich frei. Wäre ihm ein schlechthin
unendliches und unbedingtes Gut gegeben, das alle Gutheit, somit
den Horizont der Gutheit überhaupt erschöpft, so wäre
der Vollzug nicht mehr frei, sondern notwendig" (18).
Damit die menschliche Freiheit gewahrt bleibt, muß das begegnende
andere indifferent gegen das Absolute sein. Erst durch meine Setzung
wird es unbedingt. Von sich her kann das andere keinen unbedingten
Anspruch erheben (19).
Ein solches Verständnis der Freiheit sowohl wie der begegnenden
Realität scheint keinen Weg auf die zureichende Beantwortung
der Frage nach der Möglichkeit von Offenbarung offenzulassen.
1 S. bes. §§ 10-12 seiner "Metaphysik".
2 Von hierher erfolgt Coreths Kritik an dem Ansatz der neueren
Erkenntniskritik zur Begründung der Metaphysik im Ausgang
von der Evidenz eines einzelnen Sachverhaltes.
3 A.a.O. 123.
4 Metaphysik 129.
5 Vgl. auch die Kritik A. Pechhackers (Das transzendentale
Verfahren, 2. Teil).
6 Metaphysik §§ 91-100.
7 Metaphysik § 17, 147-149.
8 66-70.
9 Metaphysik als Aufgabe 53 ff.
10 Ebd. 66 f.
11 Vgl. ebd. 69.
12 So wird man Coreth trotz der oben aufgezeigten Widersprüchlichkeit
verstehen dürfen.
13 Metaphysik 147.
14 Ebd. 148 f., vgl. auch E. Coreth, Die Gestalt einer Metaphysik
heute 248; C. Cirne-Lima, Der personale Glaube 82 f. - H. Wagner
(Philosophie und Reflexion 24) erwähnt Seite
87: eine ähnliche Argumentation, die nach
ihm jedoch noch "keineswegs völlig durchschlagend"
ist. Positiver wertet H. Holz die Corethsche Argumentation (Transzendentalphilosophie
und Metaphysik 219).
15 Insofern ist der Kritik Pechhackers recht zu geben: Das
transzendentale Verfahren 40-42.
16 Metaphysik 498 f. - unsere Hervorhebung.
17 Metaphysik 400 f.
18 Ebd. 403. Konsequenterweise spricht Coreth der göttlichen
Liebe zu sich selbst die Freiheit ab (ebd.).
19 Zum Freiheitsbegriff in der Maréchalschule s. auch
Abschn. 2, Kap. 4, § 3 II, 3 d. Zur Auslegung der Interpersonalität
bei Coreth s. u. Abschn. 2, Kap. 4, § 3 I, 3.
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