J. Defever hat in seiner Arbeit "La preuve réelle de Dieu" in engem Anschluß an Maréchal (1) einen transzendental geführten Gottesbeweis vorgelegt und dessen wesentliche Schritte in einer Antwort auf die Rezension F. Grégoires (2) verdeutlicht (3).
Wie Maréchal geht Defever von der in unserem Denken notwendig implizierten Affirmation aus. Stärker als Maréchal betont er dabei die erkenntniskritische Absicherung dieser Affirmation durch "Retorsion" (4): Selbst in der Negation der ursprünglichen Affirmation wird diese Affirmation [Affir-
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mation] vollzogen (5). Die in ihrer Wahrheit unmittelbar einsichtige und unleugbare Affirmation aber lautet: "Je connais l'objet sensible" (6).
Dieser Satz bedeute nicht, daß mir hiermit schon die sichere Erkenntnis irgendeines bestimmten Objektes gegeben sei (7). Nur, daß mir (zumindest) ein Objekt gegeben ist, sei unleugbar gewiß (8).
Bis hierhin unterscheidet sich Defever sachlich nicht von Maréchal. Während dieser aber auf die in jedem Urteil vollzogene Setzung reflektiert und erst durch die transzendentale Reduktion der Setzung auf ihre letzte Möglichkeitsbedingung - die Existenz des absoluten Seins - die Realgültigkeit des Gesetzten sicherzustellen sucht, tritt bei Defever das Moment der Setzung völlig zurück. Die Realität "des Objekts" ist nach ihm hingegen schon von vornherein durch den (retorsiven) Aufweis der unmittelbaren Evidenz: "Ich erkenne das Objekt" gewiß; schon hier sieht Defever die erkenntniskritische Überwindung des "Idealismus" gewährleistet (9).
Alle weiteren Schritte dienen nur noch der Entfaltung der Implikationen der Affirmation "des realen Objekts" bis zur expliziten Erkenntnis der Existenz Gottes (10). Der aufweisende Gang beruht dabei wesentlich auf der Erkenntnis "des Objekts" in seinem Charakter als "perfection" und "limitation": als "perfection" meines affirmierenden Vollzugs erweist es seine Realität, als "limitation" verweist es auf das in jedem Vollzug mitbejahte absolute Objekt: Gott.
So erhellend die Analysen Defevers im einzelnen auch sind, scheint mir doch am entscheidenden Punkt ein Rückfall in den "Dogmatismus" gegeben. In der Erkenntnis des konkreten Objekts zeigt sich gewiß der Doppelcharakter des endlichen Seienden als "perfection" und "limitation" unserer Akte, der unser Denken stets sowohl Affirmation als auch Frage sein läßt. Hat man aber um eines erkenntniskritisch unanfechtbaren Ausgangspunktes willen von der Realität des Konkreten abgesehen und die
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Affirmation in einer solchen Allgemeinheit in den Blick gefaßt, daß man auch noch die im Zweifel oder in der Negation implizierte Affirmation darunter begreifen kann, so darf man, dem retorsiven Ansatz konsequent, auch "das Objekt" nur als ein solches in den Blick nehmen, wie es im universalen skeptischen Zweifel oder der Negation der Affirmation gegeben ist, nämlich als völlig unbestimmtes. Auch hierfür trifft zwar noch zu, daß sich das "Ich" - um bei sich selbst zu sein - notwendig von einem "Nicht-Ich" absetzt. Ist damit aber schon das An-sich-Sein dieses Objekts evident?
Und wenn ja, wie will man aus der völligen Unbestimmtheit dieses "Ding-an-sich" schließlich zur Explikation eines Gottesbeweises fortschreiten? Die Dialektik von "perfection" und "limitation" ergibt sich doch nur aus der Bestimmtheit des Objekts, von der gemäß dem kritischen Ansatz abstrahiert wurde.
Wie eine - für den Beweisgang Defevers vorausgesetzte - realgültige (nicht nur subjektiv gültige) Bestimmtheit des Objekts erkannt werden kann, dies müßte erst noch aufgezeigt werden.
1 Inwieweit Defever eine zutreffende Interpretation Maréchalscher Gedanken gibt, soll uns hier nicht beschäftigen.
2 F. Grégoire, La preuve réelle de Dieu. Étude critique.
3 Defever, Idée de Dieu et existence de Dieu. Réponse à une question.
4 Vgl. La preuve 16, 17 A 2, 22, 26, 27; Idée de Dieu 32 f.
5 Sachlich gesehen, ist auch hier also der allgemeine methodische Zweifel zum Ausgangspunkt genommen, wenn dies Defever auch vielleicht nicht bewußt ist. So schreibt er etwa in seinem Beitrag zu den "Mélanges Joseph Maréchal", wo er die notwendige Zugehörigkeit der Erkenntniskritik zur Metaphysik herausstellt: "(L'acte réflexif et critique) ne commence pas par mettre entre parenthèses l'existence, ni du sujet, ni de l'objet, ni du tout vivant fait du sujet affirmant l'objet" (L'amour de la vérité, in: Mél. Marechal II 15 f.). - Zur Retorsion als einer Weise des methodischen Zweifels s. Abschnitt 2, Kap. 1, § 3.
6 La preuve 17 u. ö.
7 Vgl. La preuve 37 A 3.
8 Idée de Dieu 42.
9 L'objet réel non seulement se distingue du sujet à l'intérieur du sujet - position de Fichte -, mais il existe comme autre, il transcende le sujet" (La preuve 37).
10 Schon im zweiten Schritt - der Erkenntnis des Objekts als Finalursache des subjektiven Vollzugs - ist die Realität des Objekts vorausgesetzt: Cause finale, évidemment, qui existe, puisque l'objet existe (Idée de Dieu 39).