§ 3. Die metaphysische Begründung der Gotteserkenntnis aus der "Real-Möglichkeit" des absoluten Ziels der Vernunft

Wenn Maréchal in seinem Hauptwerk auch keinen eigentlichen Gottesbeweis formuliert hat, so versteht er doch die transzendentale Reduktion des phänomenalen Objekts auf seine letzte Möglichkeitsbedingung - die Existenz des absoluten und unendlichen Seins - zumindest als die Grundlegung eines möglichen Gottesbeweises (1).

Der von ihm vorgelegte Schluß von der Realmöglichkeit des absoluten notwendigen Seins auf seine Existenz findet sich in der neueren Scholastik häufig (2). Da neben Maréchal auch Lotz und Coreth, mit denen wir uns

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im folgenden besonders beschäftigen, dieses Argument verwenden, soll es hier etwas ausführlicher untersucht werden.

Maréchal will erweisen, daß das "unendliche Sein" - als Ziel des Vernunftstrebens die letzte Möglichkeitsbedingung jeder "objectivation" nicht nur eine Idee oder ein praktisches Postulat ist, sondern eine "absolute objektiv notwendige Realität" (3).

Der Beweisgang ist folgender:

1. Aus dem natürlichen Streben unseres Geistes auf das absolute Sein ergibt sich die Realmöglichkeit dieses Ziels. 2. Aus der Realmöglichkeit des absoluten Seins (Gottes) folgt unmittelbar seine notwendige Existenz.

1. Auch wenn man sich nicht zur Evidenz des scholastischen Axioms: "Desiderium naturae non potest esse inane" bekenne, müsse man doch zugeben, daß das Ziel eines natürlichen Strebevermögens zumindest realmöglich sei. Ein Streben, dessen Ziel nicht einmal möglich sei, wäre ein Streben nach nichts und damit kein Streben (3a).

Für die Geltung des "Finalitätsprinzips" in dieser eingeschränkten Form haben sich in letzter Zeit besonders W. Brugger (4) und E. Coreth (5) eingesetzt (6). Brugger spricht von einem "Principium necessariae possibilitatis finis" und erläutert: "Excludit terminum alicuius tendentiae naturalis in se vel quoad talem tendentiam impossibilem esse" (7). Ein Naturstreben sei per definitionem auf etwas hingeordnet. Wenn es nun auf etwas wesentlich Unmögliches hingeordnet sei, hieße dies ebensoviel wie "auf nichts hingeordnet", "Nicht-Tendenz".

Ahnlich sieht auch Coreth die Möglichkeit des Ziels schon mit der Tatsächlichkeit des Wirkvermögens gegeben:

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"Das Wirkvermögen ist aber die Möglichkeit des Wirkvollzugs ... Wenn jedoch das Wirkvermögen die Möglichkeit des Wirkvollzugs selber ist und dieser das Ziel des Wirkens bildet, so ist mit dem Wirkvermögen selbst schon die Möglichkeit jener Seinswirklichkeit gesetzt, welche das Ziel des Wirkens ist" (8).

Bei genauerem Zusehen zeigt sich die Fragwürdigkeit dieser Argumentation - wie überhaupt des Begriffs der "Realmöglichkeit", wie er einem der skotistisch-suarezianischen Tradition verpflichteten Denken geläufig ist.

Die genannten Autoren sehen bei diesem Gedankengang bewußt von der Möglichkeit ab, nach dem Wirkgrund zu fragen, aus dem ein Streben auf sein Ziel hin bewegt wird, und von hierher auf die Realmöglichkeit des Ziels zu schließen (9). Abstrahiert man aber von diesem Wirkgrund, so ergibt die bloße Finalität eines Strebens nichts in bezug auf eine mögliche oder wirkliche Existenz des erstrebten Ziels. Aus dem Durst allein ist nichts im Hinblick auf die Existenz von etwas Trinkbarem zu ermitteln. Gewiß, nach dem "populären Möglichkeitsbegriff" (10) richtet sich der Durst auf "möglicherweise vorhandenes Wasser" - sonst wäre er eben kein Durst. Aber diese "Möglichkeit" hat nichts mit einer realen Ermöglichung der Existenz von Wasser zu tun. Auch die Tatsache, daß es einmal Wasser gegeben hat (welche aus der Erinnerung etwa meinen Durst bewegt), ergibt nichts für die Realmöglichkeit von "Wasser überhaupt", sondern nur für dieses einmal festgestellte Wasser - insofern ich aus der Wirklichkeit dieses Wassers, und nur aus ihr, auf seine reale Möglichkeit "schließen" darf.

N. Hartmann hat - von der Warte des konsequenten Atheismus aus gesehen - recht, wenn er sagt: "Real möglich im strengen Sinn ist durchaus nur das, dessen Bedingungen alle bis zur letzten erfüllt sind. Solange noch eine fehlt, ist die Sache nicht möglich ... Dabei bedeutet das Erfülltsein der Bedingungen nichts Geringeres als ihr reales Vorhandensein, also ihr Realwirklichsein" (11).

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Setze ich weder die Existenz eines Schöpfergottes (bzw. einer absoluten Weltpotenz) noch die Unmöglichkeit seiner Existenz voraus, dann kann ich über die (reale) Möglichkeit oder Nicht-Möglichkeit von "(noch-)nicht-Wirklichem-aber-logisch-Möglichem" überhaupt keine strenge ontologische Aussage, sondern nur Mutmaßungen machen.

"Denn in sich selbst ist es (sc. das 'Mögliche' = 'Nichtwidersprechende') nicht indifferent zum Dasein', so als könnte es, wenn es auf es ankommt', jederzeit im Dasein erscheinen, sondern es hat mit dem 'Dasein' überhaupt nichts zu tun. Wird es aber 'ontologisch' möglich genannt, so wird eine absolute schöpferische Potenz ... vorausgesetzt, die eine solche 'Möglichkeit' der Vorstellung verwirklichen könnte, d. h. eben eine absolute Ursache" (12).

Man könnte diesen Ausführungen entgegenhalten, die mit einem Naturstreben notwendig gegebene Realmöglichkeit des Ziels besage gerade nicht das Zusammenhaben sämtlicher Ermöglichungsgründe, aus denen mit Notwendigkeit das Eintreffen einer Wirklichkeit vorausgesagt werden könnte - der Satz "desiderium naturae non potest esse inane" sei ja insofern reduziert worden, als ein mögliches "impedimentum superveniens" durchaus zuzugeben ist. (13) Dennoch bedeute die mit der Gegebenheit eines Naturstrebens ausgeschlossene Unmöglichkeit des Ziels mehr als eine bloß logische Möglichkeit. Und dieses Mehr an Möglichkeit im Hinblick auf die Existenz des Ziels genüge für den intendierten Beweisgang.

Hier ist zunächst einfach zu wiederholen: Eine Finalität für sich genommen, d.h. aus ihrem weiteren ontologischen Kontext gerissen, gibt nichts für die Realmöglichkeit eines Ziels her. Der Begriff "impedimentum superveniens" setzt bereits voraus, was zu beweisen wäre: daß sich "an sich" die Erfüllung des Strebens gehöre. Dieses "an sich" ist bestenfalls aber eine Verallgemeinerung aufgrund von Induktion, keine streng metaphysische Einsicht.

Daß unsere Vernunft dennoch an dem obigen Axiom festhält, liegt einzig darin begründet, daß es ihr, die vom Sein ins Licht gesetzt ist, nicht gelingt, etwas ganz und gar aus dem Kontext des die analoge Vielfalt des Seienden zusammenhaltenden Seins herauszulösen. Aus einem Naturstreben muß allerdings notwendig auf ein zugeordnetes Ziel geschlossen werden, weil der ermächtigende Grund eines solchen Strebens das Seiende

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über sich hinausgeführt hat auf ein Telos hin, das ihm aus demselben umfassenden Grunde erwächst. Die Ursache der mannigfachen Ungereimtheiten in der Diskussion um das "Finalitätsprinzip" (wie auch um das "Kausalitätsprinzip") liegt also bereits dort, wo man nicht mehr in den einigen Ursprung der Sache zurückfragt, sondern methodisch eine "causa efficiens" von einer "causa finalis" trennt und dann allerdings nicht mehr das Ganze zusammenbekommt (14). Die Möglichkeit oder Sicherheit des Zieles einer Finalität wird sich also nur insoweit zeigen, wie der Grund dieser Finalität offenbar geworden ist (15).

2. Die Einsicht in die wirkliche Existenz des "absoluten Seins" soll nun weiter dadurch vermittelt sein, daß aus der realen Möglichkeit dieses absoluten Seins unmittelbar auf seine notwendige Existenz geschlossen werden müsse.

"Le degré de réalité logiquement postulé dans l'objet d'une tendance, en vertu de la tendance même, n'excède pas, de soi, la préexistence de l'objet 'in causis' ou sa réalité comme 'possible'. Mais lorsque cet objet est Dieu, lorsque la fin objective s'identifie avec l'Etre nécessaire par soi (Acte pur), qui n'a pas d'autre mode de realité que l'existence absolue, l'exigence dialectique enveloppee dans le désir prend une porté nouvelle - et cela, non pas à raison du seul desir naturel, mais à raison de l'objet du désir: affirmer de Dieu qu'il est possible, c'est affirmer purement et simplement qu'il existe, puisque son existence est la condition de toute possibilité" (16).

Noch bündiger lesen wir bei W. Brugger:

"Das subsistierende Sein ist entweder absolut notwendig oder absolut unmöglich; ein drittes gibt es nicht. Wenn es nicht wirklich ist, ist es nicht nur ein relatives Nichts der Existenz, sondern ein absolutes Nichts des Soseins ... Wenn das subsistierende Sein unmöglich ist, ist auch die naturhafte Ausrichtung auf das subsistierende Sein unmöglich. Sie ist aber möglich und wirklich. Also ist auch das subsistierende Sein möglich, notwendig und wirklich" (17).

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Den Schlüssel zu der Erkenntnis, daß das zu Beweisende hier vorausgesetzt wird, deutet Maréchal in dem zitierten Text selbst an: "... puisque son existence est la condition de toute possibilité." Ohne das Wissen um Gottes Existenz können keine ontologischen Aussagen über irgendwelche "Möglichkeiten" von noch nicht als wirklich Erkanntem gemacht werden, erst recht nicht über die Möglichkeit der Existenz des absoluten Seins (18).

Aus der (richtigen) Disjunktion: "Das subsistierende Sein ist entweder absolut notwendig oder absolut unmöglich" ergibt sich gerade eine entscheidende Schwierigkeit für den versuchten Beweis. Während aus dem Wesen des kontingenten Seienden folgt, daß man eine metaphysisch gültige Aussage über sein Sein machen kann, auch ohne etwas über seine Wirklichkeit zu wissen - nämlich über sein (reales) Möglichsein aufgrund einer absoluten schöpferischen Potenz -, folgt aus dem Wesen des absoluten Seins, daß man erst dann sein Möglichsein aufweisen kann, wenn sein notwendiges Wirklichsein erkannt ist. Jede andere "Möglichkeit" ist nicht das Möglichsein des absoluten Seins. Der Fehler der hier diskutierten Argumentation dürfte darin liegen, daß man eine aufgrund der Endlichkeit des kontingenten Seienden gewonnene ontologische Methode (nämlich das Denken in der Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit als realen Bestimmungen des Seienden) auf das absolute Sein überträgt (19).

ANMERKUNGEN

1 Vgl. die in den "Mélanges Joseph Maréchal" veröffentlichte Notiz P. Maréchals (1944): "Passages du Cahier V d'où peut ressortir une preuve de l'existence de Dieu" (Mél. Maréchal I 370 f.). Vgl. a. die Formulierung in "Le problème de Dieu d'après M. Édouard le Roy" (1931): "... c'est seulement comme condition objective de possibilité de la perfection subjective de l'action ... que l'existence de Dieu s'impose à notre assentiment" (Mél. Maréchal I 258).

2 In der transzendentalphilosophisch orientierten Scholastik etwa bei W. Brugger, Theologia naturalis 137 f.; Dynamische Erkenntnistheorie: Mél. Maréchal II 116 f.; E. Coreth,

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Metaphysik 506-510; J.B. Lotz, Metaphysica 112, 221; Scholastische Urteilslehre 564; Ontologia 154; G. Isaye, La finalité de l'intelligence 89-92; O. Muck, These XII in: Warum glauben? 118-127; vgl. K. Rahner, Geist in Welt 190, 397; vgl. a. A. Marc, Dialectique de l'Agir 174-187, bes. 185 f. Sonst z. B. bei J. Gredt, Elementa, vol. 11 nr. 790 nota ad IVam viam (p. 224).

3 Cah. V 315.

3a Le noeud de cette démonstration gît dans l'axiome universellement admis par les Scolastiques: 'Desiderium naturae non potest esse inane'. Ce qui veut dire que la finalité naturelle - loi fondamentale du Devenir - revèle tout au moins la possibilité en soi du but auquel elle tend. En fût-il autrement, la 'volonté de nature' devrait être conçue comme volonté de l'impossible: l'être tendrait au neant; la position serait negation, le non-être être ..." (Cah. V 421, vgl. 448 f.).

4 Dynam. Erkenntnistheorie: Mél. Maréchal 11 116 f.; Theologia naturalis 131-134.

5 Metaphysik § 39 (250-258); vgl. a. J. B. Lotz, Metaphysica 220; Ontologia 154; 0. Muck, Die transzendentale Methode 169.

6 Gegen J. de Vries (s. bes.: Zielsicherheit der Natur) u. a. (weitere Lit. z. Probl. bei W. Brugger, Theologia naturalis 145 f.).

7 Theologia naturalis 132 (f.); vgl. Dynamistische Erkenntnislehre 116 f.

8 Metaphysik 253.

9 Duplex modus argumentandi ex finalitate possibilis est, unus, qua ex rebus finaliter ordinatis concluditur ad causam efficientem huius ordinationis in finem ... ; quo in casu finalitas non forma, sed solum materia argumenti est; alter, qua ex tendentia finali directe concluditur ad possibilitatem realem et hac mediante ad existentiam finis. In tali argumento finalitas est ipsa forma argumenti... in quaestione nostra non agitur de existentia finalitatis eiusque causa efficiente... , sed de essentia ipsius huius tendentiae' (W. Brugger, Theologia naturalis 129 et 133).

10 Vgl. N. Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit 154-156.

11 A.a.O. 50. - Einen (von der Warte des Atheismus aus) nur "populären", nicht streng ausweisbaren Möglichkeitsbegriff verwendet auch E. Bloch, wenn er die Wirklichkeit in ihrer Realmöglichkeit auf eine absolute Zukunft hin begreift. (Vgl. die Kritik J. Moltmanns: "Das Nichts selber ... wird in dieser Prozeßdialektik zum 'Noch-Nicht' ontologisiert", Hoffnung ohne Glaube? 417; vgl. a. W. Pannenberg, Die Frage nach

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Gott 253 f. A 34, und die Kritik G. Siewerths an E. Bloch: M. Heidegger und die Frage nach Gott, in: Grundfragen 256.)

12 G. Siewerth, Thomismus 211. Vgl. a. seine Ausführungen über die "wahren" und "zur Existenz geeigneten" Wesenheiten des Leibniz: Schicksal 176 f.

13 Vgl. W. Brugger, Theologia naturalis 132.

14 Vgl. M. Seckler - zur Interpretation des thomanischen "desiderium naturale" -: "Die Relation des Ursprungs ist von der des Zieles nicht zu trennen" (Instinkt und Glaubenswille 141).

15 Insofern behält also J. de Vries recht: "So bleibt also das Ergebnis: Der Satz 'Impossibile est naturale desiderium esse inane' läßt sich ohne den Gedanken an die Weisheit und Güte Gottes nicht hinreichend begründen ... jeder auf dem Gedanken der Zielsicherheit beruhende Gottesbeweis schließt tatsächlich ... zunächst stillschweigend mit Hilfe des Kausalitätsprinzips auf Gott als den Schöpfer, der wissend und wollend der Natur die ihr selbst unbewußte Hinneigung auf das Ziel eingesenkt hat; erst durch Vermittlung dieses Gedankens ergibt sich dann weiter ... die Erreichbarkeit des Zieles. Ein gegenüber den 'kausalen' Beweisen ganz selbständiger Gottesbeweis aus dem Glückstreben ist also wohl unmöglich" (Zielsicherheit der Natur 58).

16 J. Maréchal, Cah. V 449 f.; vgl. Au seuil de la métaphysique: abstraction ou intuition, in: Mél. Maréchal I, 174 u. ö.

17 Dynamistische Erkenntnislehre, in: Mél. Maréchal II, 116 f.

18 Die Zurückweisung des Maréchalschen Gedankengangs durch G. Siewerth (Schicksal 237 f.) scheint mir in der Formulierung etwas unglücklich, weil sie den Eindruck erweckt, Siewerth interpretiere die von Maréchal behauptete "Realmöglichkeit' einfach als Widerspruchsfreiheit, um dann allerdings den Autor des "ontologischen Gottesbeweises" zeihen zu können. Sieht man auf das Ganze der Ausführungen, dann ergibt sich: Siewerth hat andernorts bereits nachgewiesen, daß eine behauptete Realmöglichkeit ohne die Voraussetzung von Gottes Existenz auf eine bloß logische Widerspruchsfreiheit zurückfällt (vgl. etwa: Schicksal 176 f. u. ö.). Also bleibt der Schluß in der Tat "ontologisch".

19 Die grundsätzliche Erörterung der Frage, wie die Analyse unseres "geistigen Dynamismus" zur Erkenntnis Gottes führen kann, erfolgt im zweiten Abschnitt dieses Hauptteils. Hier galt es nur, das Beweisverfahren aus der Realmöglichkeit auf Gottes Existenz abzuweisen.


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