Einleitender Teil

Theologische und philosophische Bestimmung der Frage nach der Möglichkeit von Offenbarung


Seite 23:

§ 1. Die Legitimation von Theologie und Philosophie aus dem Glauben

Theologie besagt Denken aus dem Glauben, ist ein Vollzug des Glaubens selbst, in dem sich der Glaubende reflektierend auf den Glauben bezieht. Vom Glauben her scheint Theologie dann aber von vornherein in Frage gestellt. Ist Glaube nicht ein unmittelbarer Vollzug, die gehorsame Antwort auf den Ruf Gottes, der kein Distanznehmen, keine "Re-flexion" zuläßt? Angesichts des göttlichen Wortes gibt es nicht Aufschub noch Rückbesinnung:

"Geh, nimm...! Und er ging und nahm..." (Hos 1,2.3)

"Folget mir...! Und sogleich verließen sie..." (Mk 1,17.18)

Nicht nur die Unmittelbarkeit der Antwort im Augenblick des Rufs ist gefordert. Der Vollzug der Antwort selbst, die Durchführung des göttlichen Gebotes, scheint auch weiterhin keine Möglichkeit zur Reflexion zu lassen:

Hosea soll ein untreues Weib lieben (vgl. Hos 3,1) zum Zeichen der Liebe Jahwes zum treulosen Volk.

Jesu Ruf zur Nachfolge bedeutet: " ... ich will euch zu Menschenfischern machen" (Mk 1,17).

Am bündigsten formuliert Johannes: Dies ist mein Gebot, daß ihr einander liebet (Jo 15,12).

Der Gerufene ist an den Menschen gewiesen in ein bedingungsloses Engagement, das Gottes Liebe verkündigen soll.

Liebe (1) ist aber nur im Blick auf den anderen möglich, auf seine Sorge und Not, und darin gerade allem fragenden Denken entgegengesetzt, das sich vom anderen auf sich selbst "zurückbeugt". Wie soll dann Theologie als eine Weise des Glaubens möglich sein?

Seite 24:

Nun gehören zur Sorge und Not des anderen seine Fragen. Will ich diese ernst nehmen, so müssen sie mich betreffen, nicht als ob, sondern indem sie meine eigenen werden. Im Fragen aber geschieht Reflexion. Sofern nun der Glaube dem anderen zur Frage wird, bin ich aus dem Gebot zur Liebe in die Reflexion auf den Glauben gewiesen, d.h. in die Theologie. Sofern ihm dieser Glaube nicht nur in einzelnen Inhalten, sondern als Vollzug selbst in seinem Grund und seiner Möglichkeit zur Frage wird, entsteht die Notwendigkeit von "Fundamentaltheologie". Die Fragestellung erhält eine besondere Gestalt in der Begegnung mit dem Nichtglaubenden. Auch und gerade er stellt Fragen, die zu meinen eigenen werden müssen, soll er in diesem Fragen nicht aus meiner Liebe herausfallen. Noch mehr: Das Gebot zur Liebe ist zugleich Auftrag zur Heilsverkündigung, da christliche Liebe nur als Verkündigung der Liebe Gottes zum Menschen sein kann. Das heißt dann aber, daß dort, wo im anderen die für sein Heil wesentlichen Fragen verdeckt sind, ich versuchen muß, sie aufzudecken. Ich muß die Fragen des Nichtglaubens als meine eigenen gestellt haben, will ich dem anderen so begegnen, wie es das Gebot der Liebe fordert.

Damit ist aber bereits impliziert, daß der Glaube sich notwendig zur Philosophie entwirft, verstehe ich hierunter das Denken des Menschen, soweit es nicht den Glauben voraussetzt. Zu einer "kritischen" Philosophie in dem Sinne, daß sie notwendig die Gesamtheit möglicher Fragen in ihre Reflexion einbeziehen muß - weil sich Liebe nie auf das konkrete Jetzt eines Fragehorizontes beschränken darf, will sie grundsätzlich für "den Menschen" in intensiver wie extensiver Universalität offen sein.

Gegen den hier skizzierten Ansatz erheben sich mannigfache Bedenken.

1. Zunächst möchte man die aufgeworfene Frage nach der Legitimation von Theologie und Philosophie als ein Scheinproblem zurückweisen, einmal im Hinblick auf die Tradition - bereits in den frühesten Schriften des Neuen (und Alten) Testaments wird Glaube verkündet, indem man Theologie betreibt, und immer wieder hat sich Theologie auch zur Philosophie hin entworfen -; zum anderen darauf, daß die hier gestellte Frage selbst ohne einen durch Theologie vermittelten Glauben gar nicht möglich wäre; schließlich, bezüglich der Philosophie, daß sie einer Rechtfertigung aus dem Glauben nicht bedürfe und jeder Versuch dazu bereits ihre Autonomie gefährde.

Aber der bloße Hinweis auf ein geschichtliches Faktum beantwortet nicht die Frage nach der Legitimation. Ist sie einmal - gegen die Verstellungen des Glaubens durch die Theologie - aufgebrochen, dann macht die Legitimitätsfrage weder vor der theologischen Tradition noch deren Quellen

Seite 25:

in der Schrift halt, sofern diese selbst die Offenbarung theologisch vermitteln. (Die Frage nach dem "Katholizismus" etwa wurde immer "früher" angesetzt, je weiter man die Vermitteltheit des Glaubens durch menschliche Reflexion erkannte.)

Selbst wenn sich Theologie als eine anthropologische Bedingung erweist, ohne die Glaube nicht sein kann, untersteht diese Bedingung - wie alles bloß Menschliche, das unter den Anspruch Gottes tritt - dem Gericht. Und so sehr Philosophie per definitionem hinsichtlich ihrer Prinzipien und ihrer Methode autonom ist: ob der Glaubende Philosophie betreiben darf, nachdem er zum Knecht Gottes befreit wurde, ist damit nicht ausgemacht.

Gegenüber einer wissenschaftstheoretischen Erklärung von Theologie (2) (bzw. von Dogmengeschichte (3)), die auf die notwendige transzendentale Verfaßtheit des glaubenden Subjekts (bzw. der "Intersubjektivität") verweist, möchten wir daher in diesem Ansatz besonders zwei Momente betonen, die notwendig zu einer fundamentalen Reflexion auf Theologie (und "christliche Philosophie") gehören, sofern sich diese Reflexion zugleich als Legitimitätsfrage versteht: Theologie hat nur insoweit ein Existenzrecht, als sie sich aus dem unmittelbaren Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes abzuleiten vermag. Und da dieser Gehorsam in ein ebenso unmittelbares und unbedingtes Engagement an den anderen Menschen verwiesen ist, kann sich Theologie als Re-flexion nur soweit rechtfertigen, als sie sich als notwendig zur Struktur dieses geforderten Dialogs (nicht: zu dialogischer Struktur überhaupt) gehörig erfaßt.

Von hierher ließen sich manche Fragen deutlicher stellen, wie etwa die nach dem Verhältnis einer immer weiter spezialisierten Theologie zum "christlichen Alltag". Theologie darf nie die besondere Weise ihrer Legitimation vergessen. Verliert sie sich in den Raum einer fachwissenschaftlichen Terminologie, so gehört dies zwar vielleicht notwendig zu ihrem Weg. Findet sie jedoch nicht wieder zu der Sprache zurück, in welcher der andere die Antwort auf seine Frage vernehmen kann, so hat sie ihre Daseinsberechtigung verloren. - Andererseits verbleibt "Nächstenliebe" im Vordergründigen, wenn sie sich nicht grundsätzlich auf den anderen bis in das Zentrum seiner Sorge hin eröffnet, wo er sich im Grunde seines Daseins zur Frage wird. Theologie und Philosophie im angedeuteten Sinne gehören also zur christlichen Liebe als ihr inneres Moment, soll diese nicht über das bloße Be-sorgtsein um den anderen zum Unwesen einer "Für-sorge" entarten.

Vielleicht ließe sich von diesem Ansatz her auch manches klarer begründen, was bisher zu der positiven Funktion theologischer und philosophischer Reflexion für den Glauben gesagt wurde. Spricht man etwa von ihrer "kathartischen Funktion" (durch das stetige Fragen wird die endliche Verfestigung in Begriffs-

Seite 26:

schemata, in denen sich Offenbarung notwendig vollzieht, auf das je weitere Hören des Wortes aufgesprengt) (4), so könnte auf die notwendige Gründung solcher Katharsis in der dialogischen Struktur des Glaubengehorsams verwiesen werden. Es wäre zu zeigen, daß die je geschehende Verfestigung in Begriffen nicht notwendig der Offenbarung qua Eröffnung Gottes im begegnenden anderen anhaftet, sondern daß sie - als "anthropologische" Notwendigkeit - immer schon verdunkelnde Tat des Menschen ist, der den Aufbruch ins andere im festhaltenden Verfügen aufhält. Und daß Reflexion - insofern sie weiteres Offenbarungsverstehen eröffnet und nicht gerade verschließt - erst dadurch und insoweit ermöglicht wird, als der Mensch sein Fragen und Reflektieren in je neuer Begegnung mit dem anderen aufreißen läßt.

2. Schwerer wiegt die Frage, welcher Sinn in einer solchen theologischen Ableitung der "Philosophie" beizumessen sel. So scharf auch immer ihre kritischen Fragen sein mögen, ist ihr nicht schon damit, daß sie aus der Evidenz des Glaubens kommt, verwehrt, Philosophie im eigentlichen Sinne - das Fragen eines Menschen ohne Voraussetzung der Offenbarungsantwort - zu sein? Diese Problematik deckt sich im wesentlichen mit der von M. Heidegger aufgezeigten Aporie, der Glaubende könne per definitionem nicht mehr philosophisch fragen (5). Denn kann man wirklich von einer "Vergegenwärtigung" der Fragen (des Nichtglaubenden durch den Glaubenden) im strengen Sinne reden? Ist es nicht doch immer eine schon beantwortete Frage und darum nur ein "Fragen-als-ob"?

Dem Philosophen ist zunächst entgegenzuhalten, daß er hier nicht minder eine "Metabasis", nämlich in die Theologie unternehme. Daß dem Glaubenden eine Frage - wegen der ihm aus der Offenbarung ergangenen Antwort - nicht mehr möglich sei, kann man erst aufgrund eines bestimmten Verständnisses dieser Antwort feststellen. Dem Philosophen, insofern er gerade nicht zugleich Theologe sein will, bleibt nur die Möglichkeit, die aus dem Glauben erwachsende Philosophie mit philosophischen Mitteln auf ihre Qualität zu prüfen.

Die genannte Aporie kann nur mit theologischen Mitteln aufgezeigt und auch nur theologisch gelöst werden. Es wäre aufzuweisen, daß der Glaube - nicht nur auf unvollkommenen Stufen, vielmehr in seinem Zentrum das Fragen des Menschen nicht ausschließt, sondern es gerade zu seinem radikalsten Vollzug erweckt. Inhaltlich wäre - was hier nur angedeutet werden kann - von einer Theologie der Inkarnation als Kenosis Gottes in ein völliges Anderssein ("unvermischt - ungetrennt") auszugehen. Der Glaube selbst enthüllt sich von hierher als ein Licht, das nicht außerhalb

Seite 27:

der größten Dunkelheit des "Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" zu suchen ist, als eine Antwort, die das Fragen nicht aufhebt, sondern es ins Abgründige führt. Erst aus dieser paradoxesten aller Antworten läßt sich das Wesen des Menschen als Frage" (6) zureichend verstehen, läßt sich vermitteln, daß der Mensch im Fragen zu Recht seine innerste Bestimmung und Würde erfährt, ohne daß das Fragen je zum "Letzten" erklärt werden dürfte (7).

Formal betrachtet, ergibt sich die Möglichkeit einer dem Glauben entspringenden Philosophie etwa aus folgender Überlegung: Der Glaubende weiß sich aus dem "Eigenen" in das "Andere Gottes" gerufen. Dieses "In-das-Andere-Gottes-Gerufen-Sein" nennen wir Glauben. Zum Glauben gehört aber das "Eigene" immer als das "aufgehobene Moment" des Glaubens selbst mit hinzu. Würde die Wirklichkeit "Ich glaube" nicht als das ganz Andere gegenüber dem "Eigenen" erfahren, so fiele sie in die Eigenmächtigkeit des Menschen zurück. Der Glaube als unverfügbares Gnadengeschenk Gottes wäre aufgelöst. Wird der Glaube aber als das ganz Andere gegenüber dem "Eigenen" erfahren, so muß dieses zugleich als das andere zum Glauben selbst mitbegriffen sein. Ein Verständnis des "Eigenen" gehört zum Inneren des Glaubens selbst, gerade damit er als Gnade erfahren wird. Es ist also dem Glaubenden notwendig ein Verstehenshorizont jenes "Eigenen" des Menschen immanent, in dem (noch) nicht geglaubt wird, in dem der Mensch nur er selbst ist. Ohne näher auf die Begriffsfracht dieses Wortes einzugehen, darf man dieses Eigene "Natur" nennen, insofern damit das andere gegenüber der Gnade gemeint ist, aus dem Gott in die Gnade rufen kann; und die reflexe Durchdringung dieses Bereiches darf als "Philosophie" bezeichnet werden.

ANMERKUNGEN

1 Hier kann nicht die Frage erörtert werden, inwieweit das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe identisch ist. Für den gemachten Ansatz genügt die Einsicht, daß die Nächstenliebe nicht sekundär zur Glaubensantwort hinzutritt, sondern inneres Moment des Glaubensaktes selbst ist.

2 Vgl. etwa K. Rahner, Hörer des Wortes 15-23.

3 Vgl. etwa K. Rahner, Theologie im Neuen Testament, Schriften V, 38 f.

4 Vgl. J. B. Metz, Theologische und metaphysische Ordnung 9 A 16 (mit Verweis auf B. Welte und K. Rahner); ders., Christliche Anthropozentrik 102; vgl. a. B. Welte, Heilsverständnis 50 f.

5 S. etwa Einführung in die Metaphysik 5, 109.

6 Vgl. M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik 109: "Die Bestimmung des Wesens des Menschen ist nie Antwort, sondern wesentlich Frage."

7 Zur philosophischen Problematik einer "hypostasierten" Frage s. u. S. 79 f.


Zur Fortsetzung

Zum Inhaltsverzeichnis