Wenn wirkliches Sein (z. B. ein gemaltes Bild) ein Mehr bedeutet ("größer ist als") gegenüber einem bloß begrifflichen Sein (z. B. ein erst geplantes Bild), dann kann das "denkbar Größte" nicht bloß im Begriff, sondern muß auch wirklich sein;
denn sonst ließe sich widersprüchlicherweise ihm gegenüber noch ein Mehr, ein Größeres denken: das wirkliche, nicht nur gedachte "denkbar Größte".
Also hat der, der dem "denkbar Größten" die Existenz abstreitet, diesen Begriff nicht zu Ende gedacht. Ganz ähnlich argumentiert auch Descartes in seiner fünften Meditation":
Das vollkommenste Wesen" kann nicht nur eine rein begriffliche, sondern muß auch eine wirkliche Existenz haben, wenn das Wirkliche dem bloß Gedachten gegenüber vollkommener ist.
Zwei Einwände hiergegen lassen sich leicht entkräften: (1) Wirklich-sein bedeutet dem Bloß-gedacht-sein gegenüber nicht immer ein Mehr, ein Größer-sein, Vollkommener-sein. Z. B. habe ich diese Nacht zum Glück nur geträumt, einen Autounfall gehabt, ein Verbrechen begangen zu haben. - Es leuchtet unmittelbar ein, daß
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dieser Einwand nur im Hinblick auf Unangenehmes, Schlechtes usw. gilt, nicht mit Rücksicht auf Gutes, Schönes, Großes. Von solchem aber ist hier die Rede. Zudem muß man in einem strengen Sinn auch bei den erstgenannten Fällen ein Mehr an Wirklichkeit (gegenüber dem bloß Gedachten oder Geträumten) zugeben, wenn es auch ein unangenehmes, schlechtes "Mehr" ist. Nicht schon mit dem Traum tritt meine Haftpflicht ein.
(2) Ein gewichtigerer Einwand geht von anderen denkbar größten Dingen aus und versucht mit dem Hinweis darauf, daß niemand diesen bloß aufgrund solcher Übersteigerung schon Realität zuschreiben würde, auch das
Argument Anselms zu entkräften. Das klassische Beispiel hierfür liefert noch immer die herrlichste, aber, wie es heißt, verlorene Insel, die der Mönch Gaunilo seinem Zeitgenossen Anselm entgegenhielt (1). Klassisch ist aber auch die Antwort Anselms:
Ich verspreche dir: wenn mir jemand in Wirklichkeit oder auch nur in Gedanken etwas findet außer dem "worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", worauf sich die Logik dieses meines Arguments anwenden ließe, so werde ich ihm die verlorene Insel finden und geben, auf daß sie nicht mehr verlorengeht (2).
Hiermit sind wir schon in die Nähe des Beispiels Kants von den "hundert möglichen und wirklichen Talern" und seiner Problematik gelangt.
3.2 Der Einwand Kants Zitieren wir zunächst einen zentralen Abschnitt aus der Argumentation Kants gegen den "ontologischen Gottesbeweis":
Nehme ich ... das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten ... zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen einen Prädikaten, und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum, daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche [Wirk-
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liche] nichts mehr als das bloß Mögliche. Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein. Aber in meinem Vermögenszustande ist mehr bei hundert wirklichen Talern, als bei dem bloßen Begriffe derselben, (d. i. ihrer Möglichkeit) (3).
Trotz der vielleicht etwas ungewohnten Sprache Kants ist sein Einwand wohl unmittelbar einleuchtend. "Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr als hundert mögliche". Der Fehler des "ontologischen Arguments' scheint darin zu liegen, daß hier die Ambiguität ausgenutzt wird, die in dem Gedanken liegt, Wirkliches sei "mehr" "größer", "vollkommener' als bloß Gedachtes. Das stimmt in gewisser Hinsicht, gibt Kant zu. Es macht einen Unterschied, hundert Taler zu haben oder nur zu erträumen. Aber dieser Unterschied betrifft nicht den Begriff dessen, wovon man spricht. Es ist nicht etwa so, daß auf der einen Seite 100 wirkliche, auf der anderen aber nur 99 erträumte Taler stünden. Der Begriff muß in beiden Fällen derselbe sein, sonst spreche ich nicht mehr von derselben Sache.
Der "ontologische Gottesbeweis" mache sich also einer Erschleichung schuldig. Das läßt sich nach Kant am deutlichsten zeigen, wo man die Existenz Gottes aus seinem Begriff als "dem allerrealsten Wesen" herausklauben will:
Ich antworte: Ihr habt schon einen Widerspruch begangen, wenn ihr in den Begriff eines Dinges, welches ihr lediglich seiner Möglichkeit nach denken wolltet, es sei unter welchem versteckten Namen, schon den Begriff seiner Existenz hinein brachtet (4).
Wer über die Realität, die Existenz einer Sache spricht, bedenkt nicht mehr ihren bloßen Begriff, ihre bloße gedankliche Möglichkeit. Man muß die Ebene des Was, des Wesens einer Sache, von der ihres wirklichen Gegebenseins (und auch der ihrer "realen Möglichkeit") streng unterscheiden.
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Der Frage, wie wichtig diese Klärung Kants im Hinblick auf die rationalistische Philosophie seiner Zeit warf mit der er sich auseinanderzusetzen hatte, können wir hier nicht näher nachgehen (5). Wir müssen nur zusehen, ob damit auch das Argument Anselms hinfällig wird.
Schon wenige Jahrzehnte später hat G. W. F. Hegel Anselm von Canterbury gegenüber Kant in Schutz genommen und sich über den Vergleich des Wesens Gottes mit dem von hundert Talern entrüstet:
Unüberwindlich aber wird allerdings die Schwierigkeit, im Begriffe überhaupt und ebenso im Begriffe Gottes das Sein zu finden, wenn es ein solches sein soll, das im Kontexte der äußern Erfahrung oder in der Form der sinnlichen Wahrnehmung wie die hundert Taler in meinem Vermögenszustande nur als ein mit der Hand, nicht mit dem Geiste Begriffenes, wesentlich dem äußern, nicht dem innern Auge Sichtbares vorkommen soll, - wenn dasjenige Sein, Realität, Wahrheit genannt wird, was die Dinge als sinnliche, zeitliche und vergängliche haben. Wenn ein Philosophieren sich beim Sein nicht über die Sinne erhebt, so gesellt sich dazu, daß es auch beim Begriffe nicht den bloß abstrakten Gedanken verläßt; dieser steht dem Sein gegenüber (6).
Nun ist es allerdings nicht ganz ungefährlich, sich einfach auf Hegel zu berufen. In der Art und Weise, wie Hegel Anselm lobt, würde sich der mittelalterliche Philosoph selbst höchst unliebsam überinterpretiert sehen auf ein Denken Gottes hin, das er nicht mehr akzeptieren kann. Zudem hatte Kant nicht ganz so simpel argumentiert, wie Hegel ihm an der zitierten Stelle unterschiebt. Auch Kant weiß, daß die Frage nach der Existenz Gottes nicht die nach einem durch sinnliche Wahrnehmung zu ermittelnden Sein (wie das von hundert Talern) ist. Er glaubt nur nicht, daß - über solches, durch Erfahrung gegebenes Sein hinaus - eine Existenz kritisch gesichert mit den Mitteln der theoretischen Vernunft erkannt werden kann, wie sie unseren Ideen zufolge Gott, der Seele usw. zukäme (7).
Fragen muß man allerdings, worauf die Einsicht Kants beruht, daß man in jedem Fall das begriffliche Wissen um etwas von dem Wissen um seine wirkliche Existenz
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zu trennen habe und es auch keinen einzigen Fall gebe, in dem diese beiden Seiten notwendig zusammengehören. Er kann diese Einsicht nur im Blick auf erfahrene, sinnlich vermittelte Wirklichkeit gewonnen haben. Hier trifft in der Tat zu, was für alles kontingente, nicht aus sich heraus notwendige Sein gilt-. seine rein begriffliche Möglichkeit besagt noch nichts über seine wirkliche Existenz. Man vermag aus all dem, was man auch begrifffich über eine Sache weiß, noch nichts auszumachen darüber, ob sie nun auch wirklich existiert oder auch nur zur Existenz kommen kann. Läßt sich diese im Blick auf die empirische Welt gewonnene Einsicht aber auch auf Begriffe wie den von Gott übertragen?
Selbst Kant ist es nicht gelungen, völlig konsequent in allen Fällen Begriff und Wirklichkeit so voneinander zu scheiden, wie er es in seiner Kritik am "ontologischen Gottesbeweis" dargelegt hatte. Eine erste "Ausnahme" ergibt sich nach ihm im Hinblick auf die alte, seit Augustinus und Descartes (8) bekannte Wahrheit, daß ich nicht meines Denkens bewußt sein und gleichzeitig die Existenz dieses "Ich denke" bezweifeln kann. Noch im
universalen Zweifel bin ich mir der (nicht bloß begrifflichen, sondern realen) Wirklichkeit des "ich denkeĢ sicher. So weit Kant sich auch von Descartes absetzt, er hält doch zumindest an dem nackten Dasein dieses "transzendentalen Ich" fest. Ich bin mir hier nicht bewußt, "wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir
selbst bin, sondern nur daß ich bin. Diese Vorstellung ist ein Denken, nicht ein Anschauen" (9). Auch Kant kennt also ein (nicht durch sinnliche Erfahrung ver
mitteltes) Dasein, das unmittelbar aus einem Denken einleuchtet und untrennbar damit verbunden ist.
Ein weiterer Fall", wo Begriff und Wirklichkeit voneinander untrennbar sind, ergibt sich nach Kant zwar nicht innerhalb seiner "Kritik der reinen Vernunft", aber der der "praktischen Vernunft". Wer immer Ein
sicht gewinnt in etwas, das er unbedingt tun soll, weiß damit nicht nur um den Begriff des Gesollten, sondern auch, wenigstens prinzipiell, daß das Gesollte in die Tat
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überführt werden kann. Daß die Verwirklichung des sittlich Gesollten grundsätzlich möglich sein muß, ist zwar kein Wissen, das man irgendwie aufgrund von Erfahrung gewinnen könnte. Selbst wenn mir ein solches Wissen fehlt, ja wenn mir aber auch jede Reahsierungsmöglichkeit des Gesollten in dieser Welt von Erfahrungstatsachen völlig verbaut scheint: Würde der sittliche Anspruch ein so abstraktes "Sollen" bedeuten, daß es auch denkbar wäre, er ließe sich prinzipiell nicht realisieren, dann fiele er als sittlich-unbedingter Anspruch dahin. Der Begriff "Ich soll" wird nur wirklich gedacht, wenn sich darin zugleich das Hoheitliche eines Wirklichen zeigt, das seine Festigkeit über alle sinnlich feststellbare Realität hinaus behauptet (10).
Der Einwand Kants gegen den "ontologischen Gottesbeweis" geht offenbar von einem Modell des Verhältnisses von Begriff und Wirklichkeit aus, das auch in seiner eigenen Philosophie nicht allein bestimmend ist. Wenn sich der Gedanke Anselms auf solche Sachverhalte bezöge, in denen auch nach Kant Begriff und Wirklichkeit nicht voneinander trennbar sind, so zielte der Einspruch an ihm vorbei.
Und dieses existiert schlechthin so wahrhaft, daß auch nicht gedacht werden kann, es existiere nicht. Denn es läßt sich denken, daß es etwas gibt, das als nichtexistierend nicht gedacht werden kann - und das ist größer als was als nichtexistierend gedacht werden kann. Wenn daher "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", als nichtexistierend gedacht werden kann, so ist eben "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht wer
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den kann", nicht "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann"; was sich nicht vereinbaren läßt. So wahrhaftig existiert also "etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", daß es als nichtexistierend nicht einmal gedacht werden kann.
So schwer überschaubar der Gedanke auf den ersten Blick scheint; die Absicht Anselms ist klar. Während er im ersten Beweisgang nur einfach die Existenz Gottes beweisen wollte, will er hier darüber hinaus die notwendige Existenz Gottes erweisen. Erst damit ist Gottes Sein als über alle anderen Seienden, denen Existenz nicht notwendig zukommt, unendlich erhaben qualifiziert (12).
Werfen wir zum Vergleich wieder einen Blick auf die Gotteslehre des Thomas von Aquin, so sehen wir, daß nach dessen Einteilung der erste Beweisgang des Anselm unter die Frage "Ob Gott ist", der zweite aber unter die "Wie Gott ist" gehört (13).
Dies kann uns vielleicht etwas weiterhelfen, wenn wir nun die beiden Argumentationsgänge Anselms genauer miteinander vergleichen. Verblüffend mag zunächst die Feststellung erscheinen, daß das zweite Argument Anselms auch dann überzeugen würde, wenn die genannten Einwände gegen die Voraussetzung, daß "wirklich existieren" ein qualitatives Mehr gegenüber "bloß in Gedanken existieren" besagt, auf Anselms Gottesbegriff anwendbar wären. Das läßt sich aber in der Tat einsichtig machen, wenn man allein auf den Unterschied abhebt, den Anselm in diesem zweiten gegenüber dem ersten Beweisgang intendiert. Der folgende mögliche Einwand steht hier im Hintergrund: Nun gut, du hast mir jetzt die Existenz deines worüber hinaus...' bewiesen. Aber was ist das schon Besonderes! So manches ist und geht dahin. Damit, daß ich zum Begriff des ,worüber hinaus . ..' Sein hinzudenken muß, sehe ich noch nicht ein, daß Gott ist. Denn Sein und Nicht-Sein sind recht zufällige Größen. Hattest du eine solche Größe im Auge, als du mir die Existenz deines worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann' andemonstrieren wolltest?
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Demgegenüber kann Anselm nun zeigen, daß, wer immer den Begriff des "worüber hinaus..." denkt, mit diesem "etwas" nicht ein Sein der Art verbinden kann, wie es im Hinblick auf alles andere möglich ist: ein Sein, das man ihm zu-, aber auch absprechen kann. Wer immer über das Sein des "worüber hinaus..." nachsinnt, muß ein ihm notwendig zugehöriges Sein denken.
In dieser (gegenüber dem Wortlaut Anselms überpointierten) Unterscheidung zwischen dem ersten und zweiten Beweisgang wird klar, daß der letztere eigentlich gar kein ontologisches" Argument, d. h. einen Schritt von der bloß begrifflichen ("logischen") Ebene zur ("ontischen") Ebene von Wirklich-sein enthält. Er sagt uns lediglich etwas über die spezifische Qualität des Seins, das dem "worüber hinaus...' seinem Wesen, seinem Begriff nach zugehört (im Unterschied zu anderen Wesenheiten, denen diese Art Sein ihrem Begriff nach nicht zugehört).
Nun hat Anselm allerdings sein zweites Argument etwas anders formuliert, als wir es hier (im Herausheben bloß des Unterschieds gegenüber dem ersten) wiederzugeben versuchten. Er behauptet, daß, wer immer das "worüber hinaus..." denkt, nicht denken kann, daß es nicht existiert. In dieser Fassung bleibt neben der überzeugenden Behauptung des dritten Kapitels daß nämlich, wenn immer ich "Sein" mit dem Begriff des "worüber hinaus..." verbinde, ich "notwendiges Sein" damit verbinden muß - die strittige Behauptung des zweiten Kapitels impliziert, daß ich überhaupt Wirklich-sein notwendig mit diesem Begriffe verbinde. Diese Behauptung läßt sich nur aufrechterhalten, wenn die Voraussetzung zuzugeben ist, daß Wirklich-sein ein qualitatives Mehr gegenüber bloßem Gedacht-sein bedeutet.
Sieht man an diesem Punkt, von wo sich die gesamte Argumentation Anselms recht gut überblicken läßt, genau zu, dann zeigt sich sehr deutlich die Grenze nicht nur des Kantschen Einwands, sondern auch die des ontologischen Arguments selbst.
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Kants Einwand mag gegenüber dem Unbegriff eines "allerrealsten Wesen" und ähnlichen gedanklichen Konstruktionen seine Berechtigung haben. Er läßt sich nicht auf den Gottesbegriff Anselms übertragen. Wer das äußerste Sein, das die menschliche Vernunft zu denken imstande ist, auf der einen Seite als bloßes Gedankengebilde zu konzipieren versucht, und daneben dasselbe Sein als Wirklichkeit denkt, und dann noch behauptet, er habe mit diesem Zweiten kein anderes, Größeres gegenüber der bloßen Fiktion desselben Wesens gedacht, der hat sich nicht wirklich auf den Gedanken Anselms eingelassen. Die Faszination, die von Anselm ausgeht, läßt sich durch Einwände, wie sie Gaunilo oder Kant vorgebracht haben, nicht zerstören. Wer das "worüber hinaus..." wirklich denkt, sieht ein, "daß auch nicht gedacht werden kann, es existiere nicht-.
Ist damit aber auch schon die wirkliche Existenz jenes Wesens erwiesen, wie Anselm in seinem ersten Beweisgang behauptet? Nein, evident ist lediglich eine verwirrende Notwendigkeit der Vernunft, ein berückendes Paradox: Wo die Vernunft hingreift, begreift sie Wesen, die keinen zweifellos gesicherten Bestand in der Wirklichkeit haben. Wo sie aber über alles hinausgreift, denkt sie ein Wesen, das sie nicht ernsthaft zu konzipieren vermag, ohne es als seiend, und zwar notwendig seiend zu denken. Diesem Zwang kann sie nicht entrinnen.
Warum sollte dieser Zwang aber, über die bekannten Absurditäten des Denkens hinaus, nicht vielleicht die äußerste Verrücktheit der Vernunft darstellen? Warum muß der Denknotwendigkeit, jenseits des in sich schlüssigen Zirkels der Vernunft, unbedingt eine Seinswirklichkeit entsprechen? Wer sagt, daß die Denkzwänge der menschlichen Vernunft nicht letztlich, ohne Fundament im wirklichen Sein, in der ihr eigenen Leere belassen sind?
Den unzulässigen Schritt von der "logischen" zur "ontischen" Ebene kann man Anselm gegenüber nicht durch den Vergleich seines Gottesbegriffs mit anderen
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Sachverhalten aufweisen. Es gibt außerhalb der inneren Gesetzlichkeit der Vernunft selbst keine vergleichbaren Sach-, oder besser- Denkverhalte! Aber daß die Notwendigkeit des Denkens notwendig auch durch einen Grund im Sein gedeckt ist, dies ist eine von Anselm hier unbefragt vorausgesetzte Annahme (14). Der Wert des "Proslogions" wird sich letztlich daran entscheiden, ob uns Anselms Gottesbegriff - über die zu kurz greifende Formulierung seines "ontologischen Arguments' hinaus - bei dieser Frage nach dem letzten Grund unseres Denkens weiterhilft.
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1 "Man sagt zum Beispiel, irgendwo im Ozean gebe es eine Insel, die einige wegen der Schwierigkeit, oder besser der Unmöglichkeit, sie zu finden, weil sie nicht existiert, ,die verlorene' genannt haben. Und es heißt weiter, daß sie eine unschätzbare FüIle aller Reichtümer und Wonnen trage, viel mehr noch, als man von den Glücklichen Inseln sagt, und daß sie, da sie weder Besitzer noch Einwohner hat, alle anderen Länder, welche Menschen bewohnen, in jeder Hinsicht an Überfluß von Gütern überrage. Wenn mir jemand sagte, es verhielte sich so, dann würde ich das Gesagte leicht verstehen, da nichts daran schwierig ist. Wenn er dann aber wie in einer logischen Folgerung fortführe und sagte-. Du kannst nicht mehr daran zweifeln, daß jene alle Länder überragende Insel wahrhaft irgendwo in Wirklichkeit sei, wie du darüber schwankst, daß sie in deinem Verstande ist; und: weil es hervorragender ist, nicht nur im Verstande, sondern auch in Wirklichkeit zu sein, darum muß sie auch notwendig sein. Denn wenn sie nicht wäre, so würde jedes andere Land, das es wirklich gibt, sie überragen, und so würde sie, die du schon als überragend eingesehen hast, nicht überragend sein. - Wenn, sage ich, mir jener dadurch beweisen wollte, daß die wirkliche Existenz jener Insel nicht weiter bezweifelt werden könnte, so würde ich glauben, er scherze, oder ich wüßte nicht, wen ich für den größeren Toren halten sollte, mich, wenn ich ihm zustimmte, oder ihn, wenn er meinte, mit irgendeiner Gewißheit die Existenz jener Insel bewiesen zu haben - es sei denn, er zeigte mir zuvor dieses ihr überragendes Sein als eine wahre und zweifellos existierende Sache auf und nicht mehr bloß als etwas Falsches oder Unsicheres in meinem Verstand." (Exempli gratia: Aiunt quidam alicubi oceani esse insulam, quam ex difficultate vel potius impossibilitate inveniendi quod non est, cognominant aliqui 'perditam', quamque fabulantur multo amplius quam de fortunatis insulis fertur, divitiarum deliciarumque omnium inaestimabili ubertate pollere, nulloque possessore aut habitatore universis aliis quas incolunt homines terris possidendorum redundantia usquequaque praestare. Hoc ita esse dicat mihi quispiam, et ego facile dictum in quo nihil est difficultatis intelligam. At si tunc velut consequenter adiungat ac dicat: non potes ultra dubitare insulam illam terris omnibus praestantiorem vere esse alicubi in re, quam et in intellectu tuo non ambigis esse; et quia praestantius est, non in intellectu solo sed etiam
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esse in re; ideo sic eam neccesse est esse, quia nisi fuerit, quaecumque alia in re est terra, praestantior illa erit, ac sic ipsa iam a te praestantior intellecta praestantior non erit; - si inquam per haec ille mihi velit astruere de insula illa quod vere sit ambigendum ultra non esse: aut iocari illum credam, aut nescio quem stultiorem debeam reputare, utrum me si ei concedam, an illum si se putet aliqua certitudine insulae illius essentiam astruxisse, nisi prius ipsam praestantiam eius solummodo sicut rem vere atque indubie existentem nec ullatenus sicut falsum aut incertum aliquid in inteliectu meo esse docuerit.), "Eine Antwort darauf zugunsten des Toren" (Quid ad haec respondeat quidam pro insipiente [6.1), Opera onuua, Vol. 1, p. 128.
2 "Fidens loquor, quia si quis invenerit mihi aut re ipsa aut sola cogitatione existens praeter quo maius cogitari non possit', cui aptare valeat conexionem huius meae argumentationis: inveniam et dabo illi perditam insuiam amplius non perdendam." (Quid ad haec respondeat editor ipsius libelli [III.], Opera omnia, Vol. I, p. 133.
3 Kritik der reinen Vernunft, A 599.
4 Ebd. A 597.
5 Vgl. hierzu bes. D. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tübingen 1960. Einen Rückfall in das rationalistische Argumentieren stellt in der jüngeren Diskussion etwa der Beitrag N. Malcolms dar (vgl. bes.: The Many-faced Argument, a.a.O., pp. 301-320). Zur Kritik des hier wie auch sonst häufig im Rahmen von "Gottesbeweisen' anzutreffenden Operierens mit einem unausgewiesenen Möglichkeitsbegriff vgl. meine Ausführung in: Ontologische Voraussetzungen, a.a.O., S. 48-53.
6 Wissenschaft der Logik (1813), Zweiter Teil, hrsg. v. G. Lasson, Hamburg 21934 (Phil. Bibl.), S. 355. über Anselm speziell vgl. bes. Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Theorie Werkausgabe Bd. 19, Frankfurt a. M. 1971, S. 554-560.
7 "Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz zu erteilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht dieses durch den Zusammenhang mit irgendeiner meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit
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der Wahrnehmung verknüpfen,) gehört ganz und gar zur Einheit der Erfahrung, und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für unmöglich erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können." Kritik der reinen Vernunft A 601.
8 Zur Geschichte und philosophischen Tragweite des "cogito/sum" vgl. Ontologische Voraussetzungen, a.a.O., S. 93 ff.
9 Kritik der reinen Vernunft, B 157. Vgl. hierzu A. Schurr, Die Begründung der Philosophie, a.a.O., S. 130 f.; Ontologische Voraussetzungen, a.a.O., 5. 102 ff.
10 Zur Unmöglichkeit den Gedanken Anselms als rein theoretisch-spekulativ aus dem ihn begründenden Zusammenhang praktischer Philosophie zu lösen, s. bes. A. Schurr, Die Begründung der Philosophie; im Hinblick auf die Kritik Kants insbesondere ebd. S. 131-135.
11 Nämlich (im Lateinischen) durch ein Relativpronomen: "quod utique sic vere est...", wörtlich: "welches durchaus so wahrhaft existiert. . .". Von hierher ist es nur schwer zu begreifen, daß man das Skelett des zweiten Kapitels - als "ontologischen Gottesbeweis" - in der Philosophiegeschichte fast durchweg völlig getrennt von dem im dritten Kapitel folgenden Gedanken diskutiert hat.
12 "Und in der Tat läßt sich alles, was sonst ist, außer Dir allein, als nichtexistierend denken. Du allein also hast am wahrsten von allem und damit am meisten von allem Sein, weil alles, was es sonst gibt, nicht so wahrhaft und daher weniger Sein hat." (Et quidem quidquid est aliud praeter te solum, potest cogitari non esse. Solus igitur verissime omnium, et ideo maxime omnium habes esse: quia quidquid aliud est non sic vere, et idcirco minus habet esse.) Proslogion, Kap. 3 (Opera omnia, Vol. I, p. 103).
13 Vgl. Summa theologica, pars I, qu. 2 mit qu. 3 ff.
14 In diesem Sinn ist wohl auch die knappe Kritik des Thomas von Aquin zu verstehen- "SeIbst angenommen, daß jeder unter diesem Namen 'Gott' das Gesagte verstehe, nämlich jenes, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann; so folgt darum noch nicht daß er einsehe, daß das, was durch den Namen bezeichnet wird, im Bereich der Wirklichkeit sei, sondern lediglich in der Auffassung der Vernunft." (Dato etiam quod quilibet intelligat hoc nomine Deus significari hoc quod dicitur, scilicet illud quo maius cogitari non potest; non tamen propter hoc sequitur quod intelligat id quod significatur per
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nomen, esse in rerum natura; sed in apprehensione intellectus tantum), Summa theologica I, 2,1 ad 2. Vgl. K. Flasch, Die Beurteilung des Anselmianischen Arguments bei Thomas von Aquin, a.a.O.