2 DER BODEN DES ARGUMENTS

Wir haben im ersten Kapitel im Rückgriff auf den so theologisch anmutenden Ansatz Anselms zu philosophischer Argumentation (1.1) zu skizzieren versucht, worum es ernsthaftem Philosophieren notwendig geht: Aus den Selbstverständlichkeiten meiner je unmittelbaren Position im Hinblick auf die grundlegenden Fragen des Menschen (aus der "Theologie") gilt es, zu einer auch anderen verständlichen Ebene der Kommunikation (der Philosophie) zu finden (1.2). Die Philosophie als Frage nach den ureigenen Möglichkeiten menschlicher Vernunft muß dabei den Zusammenhang der eigenen Freiheit mit der Befreiung in mitmenschlicher Anerkennung, und d. h. der Abhängigkeit vom Wollen, Denken und Sprechen anderer im Auge behalten (1.3). Trotz der Gefahr, auf der Suche nach allgemeingültigen Begriffen den konkret, d. h. im Aufeinandertreffen je geschichtlich geprägter Sprachwelten geforderten Dialog aus dem Auge zu verlieren, darf die Frage nach einem letzten, für alle verbindlichen Sinn nicht unterbleiben, wenn der Dialog sich nicht auf Oberflächlichkeiten menschlichen Miteinanders beschränken soll. Gerade christlicher Theologie muß daran hegen, daß diese Sinnfrage wirklich autonom philosophisch, ohne das Einfließen theologischer Vorurteile in den Gedankengang durchgeführt wird (1.4). Wenn wir uns jetzt Anselms philosophischem Argument selbst zuwenden, so ist zu prüfen, inwieweit es den herausgestellten Ansprüchen genügt.

... Und zwar glauben wir, daß Du etwas bist, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.

Oder gibt es etwa ein solches Wesen nicht, weil "der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: es ist kein Gott"? Wenn dieser Tor ebendas hört, was ich sage: "etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", dann versteht er aber sicherlich, was er hört; und was er versteht, ist in seinem Verstande, auch wenn er nicht einsieht, daß dies existiert.

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Hier gibt Anselm seinen Gesprächspartner an und das, worüber er mit ihm sprechen will. Um beides nicht mißzuverstehen, muß man zunächst sehen, wie genau sich der Autor bis ins literarische Detail an sein Programm hält, daß aus dem Innern des Glaubens selbst das philosophische Verstehen hervorgehen soll.

Die Formel etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann" (1), ist gewiß nirgends im christlichen Glaubensbekenntnis wörtlich vorgegeben. Anselm stellt aber ausdrücklich fest, daß dieser Begriff, den er dann seinem atheistischen Gesprächspartner als verstehbar anmutet, Glaubensinhalt ist. Wir werden die damit erhobene zweifache, nämlich theologische und philosophische Behauptung noch genau zu prüfen haben.

2.1 Der Gesprächspartner

Vordringlicher ist zunächst aber, an dem Wort vom "Toren" keinen unnötigen Anstoß zu nehmen. Anselm greift hier einen Psalmvers (Ps 14,1; 53,1) auf. Er will damit aber weder seinen Gesprächspartner als den Bösewicht abstempeln, den das Alte Testament unter dem Gott in seiner Lebenspraxis leugnenden "Toren" begriff; noch macht er sich hier von vornherein über seinen Adressaten als einen "Narren" lustig, wie wir von unserem Wortverständnis her annehmen könnten. Das Schriftzitat soll vielmehr andeuten, daß, wenn Anselm sich hier auf das Gespräch mit Atheisten einläßt, er damit keiner modischen Allüre folgt, keinem Aggiornamento an die "Dialektik" seiner Zeit, wo auf den Medienmärkten einer zur urbanen Blüte anhebenden mittelalterlichen Welt unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit so ziemlich alle Inhalte des Glaubens breitgeredet werden konnten (2). Daß es den Gottesleugner gibt, ist bereits aus der Schrift bekannt, und die Auseinandersetzung mit ihm von daher als eine Aufgabe des Glaubenden vorgegeben. Sachlich hat Anselm damit seinen Gesprächspartner aber in keiner Weise vorqualifiziert. Er geht auf ihn einfach und nüchtern ein als jemanden, der Gottes Existenz nicht einsieht,

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sich aber etwas bei dem Wort "Gott" denkt, wenn er sagt, es gebe ihn nicht. Ob und inwiefern der Atheist tatsächlich töricht und - im lateinischen Sinn des Worts "insipiens" - unverständig ist, wenn er beim bloßen Gedanken Gottes ohne die Einsicht in seine Existenz verbleibt, das muß nach der Ansicht Anselms erst die philosophische Argumentation selbst offenlegen. Ein philosophisch nicht eigens verantwortetes, bloßes Nachsagen von Bibelworten genügt hier nicht (3).

2.2 Der Ausgangspunkt

Der wirklich entscheidende Schritt für die Beurteilung der Basis seiner philosophischen Argumentation liegt nun darin, daß Anselm dem atheistischen Gesprächspartner anmutet, bei seinem Reden über Gott genau das zu denken, was er, der Betende, gerade zuvor als Inhalt des Glaubens herausgestellt hatte: "etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann". Um diesen Schritt richtig einschätzen zu können, wird es nützlich sein, zunächst die wichtigsten Alternativen zu erwägen, die sich für einen solchen Ausgangspunkt anbieten.

2.2.1 Alternative I: Erfahrungstatsachen

Die eine klassische Alternative zur Grundlegung eines philosophischen Gesprächs über die Existenz Gottes wurde bereits oben (4) aus dem Beginn der "fünf Wege" des Thomas von Aquin zitiert:

Es ist ... sicher und durch Sinneserfahrung verbürgt, daß es in der Welt Bewegung gibt ...

Mit einer solchen Berufung auf allgemein feststehende Sinneserfahrung hebt in der Geschichte der Philosophie eine ganze Reihe von "Gottesbeweisen" an, die dann später in Haupttypen wie den "kosmologischen" und den physiko-theologischen" oder teleologischen Beweis untergliedert wurden (5). Der Vorteil dieser Argumente gegenüber dem Ausgang von einer bloßen Idee liegt offensichtlich darin, daß hier von vornherein über wirklich [wirk-

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lich] Existierendes verhandelt wird. Bei Anselm hingegen - und allen, die ihm in seinem "ontologischen" Argument gefolgt sind - scheint das Beweisen letztlich doch nur auf einen unzulässigen Sprung von der rein gedanklichen ("logischen") Ebene zur ("ontischen") Ebene wirklicher Existenz hinauszulaufen.

Der Nachteil einer jeden Argumentation, die von Erfahrungstatsachen ausgeht (nicht nur des speziellen Disputs hinsichtlich der Frage nach Gott), besteht aber in der Schwierigkeit, wirklich sicher zu sein, wie weit die vorausgesetzte Erfahrung tatsächlich von allen geteilt wird. Diese Schwierigkeit mag bei so allgemein zugestandenen Fakten wie "Bewegung" sehr geringfügig erscheinen. Sie enthüllt sich dann aber um so mehr beim Fortgang der Argumentation, die darauf aufgebaut wird. Hier tritt dann offen zutage, was dem Alltagsbewußtsein zunächst verdeckt ist: daß jede auch noch so "objektive Tatsache der Erfahrung" ein Stück subjektiver Interpretation enthält.

Wenn also für die bei "bloßen Gedanken" anhebenden "Beweise für das Dasein Gottes" die Schwierigkeit ansteht, wie man von einem Begriff zu wirklicher Existenz übergehen kann, so sind ebenso unausweichlich die von wirklicher Erfahrung ausgehenden Argumente von dem Problem betroffen, wie das von allen zuzugestehende Ausgangsdatum von allen auch so begriffen werden kann, daß es den Blick auf Gott als den letzten Grund seiner Existenz freigibt.

2.2.2 Alternative II: die "Retorsion"

Im Anschluß an Kant (6) hat man immer wieder die "Beweise für das Dasein Gottes" einzuteilen versucht in "aposteriorische", d. h. bei Erfahrungstatsachen ansetzende Argumente und "apriorische", d. h. solche, die von bloßen Begriffen unter Absehen von aller Erfahrung ausgehen. In diesem groben Raster kommen die wichtigsten Gedanken, die in der Geschichte der Philosophie zur anstehenden Frage geäußert worden sind, gar nicht zur Sprache. "Begriffe" kann man ja

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nicht nur rein logisch-abstrakt wie Gedankendinge-an-sich behandeln, sondern auch in dem ursprünglichen Zusammenhang sehen, aus dem sie hervorgehen: dem Denken Selbst, das doch auch eine erfahrene Wirklichkeit ist, obschon keine äußerlich feststellbare Tatsache.

Den hier gemeinten Sachverhalt einer sich selbst gewissen Denkwirklichkeit im Unterschied zur äußeren, sinnlich vermittelten Erfahrung einem Bereich "innerer Erfahrung« zuzuordnen, hilft allerdings keinen Schritt weiter. Seit Kant und der modernen Psychologie werden auch die "Tatsachen der inneren Erfahrung" dem allgemeinen Gegenstandsbereich der objektiv-exakten Wissenschaften zugeordnet und wie sonstige empirische Gegebenheiten behandelt.

Die klassischen Argumente für das Dasein Gottes, die von allgemeingültigen Begriffen als einem realen Vollzug des seiner selbst gewissen Denkens ausgehen (7), fallen nun aber keineswegs unter die Objekte psychologischer Forschung. Sie haben es mit einem wirklichen "Apriori", einem Inhalt und Akt des Denkens zu tun, der schlechthin nicht aus dem Bereich naturwissenschaftlich feststellbarer Empirie zu erklären ist. Wir werden darauf noch zurückkommen (4.3--4.5). Hier wollen wir zunächst nur auf eine bestimmte Weise eingehen, in der man sich im Umkreis dieses Ansatzes der Allgemeingültigkeit des Ausgangspunktes zu vergewissern müht.

Auch wenn man im Gespräch mit Andersdenkenden von einem Denkakt statt von Erfahrungstatsachen ausgeht, bleibt ja die Frage nach der Allgemeinverbindlichkeit der gewählten Argumentationsbasis bestehen. Hier scheint sich nun ein Verfahren anzubieten, das seit Aristoteles immer wieder benutzt worden ist: die "Retorsion", die "Rückwendung" einer zweifelnden Frage oder eines verneinenden Urteils des skeptischen Gesprächspartners auf ein gerade darin dennoch behauptetes Positives (8). Prägnant hat den Kern dieses Verfahrens einmal Thomas von Aquin wiedergegeben:

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Wer Wahrheit bestreitet, gibt Wahrheit zu. Wenn es nämlich keine Wahrheit gibt, so ist (doch wenigstens, nach der Ansicht des Skeptikers) wahr, daß es keine Wahrheit gibt (9).

Die Tatsache, daß die Skepsis ebenso jung geblieben ist wie diese ihre listige Widerlegung, gibt zu denken. Die Schlüssigkeit des Gedankens selbst scheint mir zwar, trotz aller immer wieder dagegen erhobener Einwände, unanfechtbar. Zugleich ist er aber ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie man im Dialog mit dem Zweifler Recht behalten kann, ohne daß das Gespräch auch nur einen Schritt vorankommt. Man nimmt hier nämlich den anderen mit seinem Fragen und Zweifeln im Grunde nicht ernst, sondern zieht sich nur apologetisch in seine eigene Burg zurück. Was nützt es dem Skeptiker, wenn man ihn mit der Nase darauf stößt, daß er selbst noch im grundsätzlichen Zweifel an der Wahrheit nicht anders kann, als Wahrheit zu behaupten? Diese ungewollt mitbehauptete Wahrheit ist nicht seine Not. Die entzündet sich an der Frage, wo in der Welt überhaupt etwas wirklichen Bestand hat - und diese Frage angesichts des schwierigen Details wird mit dem Verweis auf eine unausrottbare Hinordnung des Denkens auf "Wahrheit im allgemeinen" nicht weitergebracht. Wenn wir oben (:1.4) die Schwierigkeit bemerkten, daß bei der Frage nach Allgemeingültigem leicht das je konkret anstehende Verständigungsproblem aus dem Auge verloren wird: Die Retorsion scheint eine solche Weise des "Dialogs" zu sein, wo man im Vorgriff auf Universales die Möglichkeit zur Kommunikation im besonderen Fall verpaßt.

2.2.3 Der Ansatz Anselms

Es ist nun interessant, daß Anselm sich für keine der skizzierten Alternativen entscheidet, sondern einen anderen Weg wählt. Auf Erfahrungstatsachen hatte er noch im "Monologion" (Kap. 1-4) zurückgegriffen. Die "Retorsion" mußte sich ihm von seiner Kenntnis des augustinischen Werks her geradezu nahelegen. Daß Anselm den Atheisten gleichsam auffordert, über den

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Gehalt dessen nachzudenken, dem er da die Wirklichkeit abspricht, obwohl es auch in seinen Gedanken vorkommt, führt nahe an eine "Retorsion" des Skeptikers auf implizit von ihm behauptete Wahrheiten heran. Aber es kommt dann doch zu keiner Anbiederung und Festlegung auf eine behauptete Allgemeinverbindlichkeit. Es bleibt bei der Zumutung, daß der Atheist einen Begriff auf der Ebene der Philosophie verstehe, den er, Anselm, im Nachdenken über seinen Glauben gewonnen hat.

Thomas von Aquin wendet darum an diesem Punkt ein, der Gesprächspartner brauche sich beim Aussprechen des Wortes "Gott" ja nicht unbedingt das vorzustellen, was Anselm ihm da anmutet, sondern, wie religionsgeschichtlich gehabt, z. B. etwas Körperliches (10). Aber daran zeigt sich eben der Charakter einer echten "Anrede". Es wird dem anderen nichts unterschoben, aber wirklich etwas zugemutet. Wenn es zum Dialog mit dem Christen kommen soll - und der Atheist nicht seinerseits bei einem "Parteichinesisch" zu bleiben gedenkt, innerhalb dessen er zwar auch etwas in Sachen Religion sagt, ohne daß er sich aber je auf die dort zur Frage stehenden Sachverhalte eingelassen hätte -, dann muß beim Reden über Gott schon etwas Genaues gedacht werden. Unterhalb der Grenze von "etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", läßt Anselm nicht mit sich handeln. Er bietet diesen Begriff aber als eine philosophisch akzeptable Gesprächsgrundlage an. Wir müssen also sehen, wie weit uns dieser bei der Frage nach einem letzten, für alle verbindlichen Sinn des Menschen bringt, wenn das die entscheidende Ebene ist, auf der Philosophie ausgetragen wird (vgl. 1.4). Bevor Anselm nun darlegt, wozu seiner Meinung nach schon der bloße Begriff von "etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann" notwendig führt, verdeutlicht er noch einmal an einem Beispiel, was es heißt, einen "bloßen Begriff" zu denken.

Denn, daß eine Sache im Verstande ist ist eines; ein anderes einzusehen, daß die Sache exstiert. Wenn nämlich

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ein Maler vorher bedenkt, was er schaffen will, so hat er es zwar im Verstande. Er erkennt aber noch nicht, daß existiert, was er noch nicht geschaffen hat. Wenn er aber schon gemalt hat, so hat er es sowohl im Verstande, als er auch erkennt, daß existiert, was er bereits geschaffen hat.

So muß also auch der Tor zugeben, daß wenigstens im Verstande etwas ist, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, weil er das versteht, wenn er es hört, und was immer verstanden wird, ist im Verstand (11).

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ANMERKUNGEN

1 "Aliquid quo maius nihil cogitari potest". Wir ziehen mit A. Schurr (Die Begründung der Philosophie durch Anselm von Canterbury, Stuttgart 1966, S. 76 Anm. 219) die Übersetzung etwas, worüber hinaus..." der sonst meist (z. B. von K. Barth, F. S. Schmitt) gewählten Formulierung "etwas, über dem..." vor, weil hier zu leicht die Vorstellung von Höhe suggeriert wird. Der lateinische Ausdruck ist leider im Deutschen überhaupt nicht adäquat wiederzugeben.

2 Vgl. die anschauliche Darstellung der Disputierlust jener Zeit bei R. W. Southern (Gestaltende Kräfte des Mittelalters. Das Abendland im 11. und 12. Jahrhundert, Stuttgart 1960, bes. S. 173 f.): Im 9. Jahrhundert sehen wir die Gelehrten unter sich disputieren, oft zwar leidenschaftlich und gereizt, aber doch in einer gewissen Zurückgezogenheit, im Kreise eines Hofs, unter den Augen eines Kaisers, wo man in wohigesetzten Worten sprach und das schwere Geschütz der Autoritäten vorsichtig ins Feld führte. Im 11. Jahrhundert dagegen betreten die Disputanten die Arena wie Matadore, zum Kampf gerüstet mit dem Schwerte logischer Distinktionen und was mehr sagen will - laut begrüßt von der Menge ihrer Anhänger, Schüler und Fachgenossen; sie fühlten sich bei ihren Kontroversen als Repräsentanten einer Schule oder einer Partei und appellierten an das Gefühl landsmannschaftlicher Verbundenheit."

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3 Vgl. die Ausführungen Anselms zu Ende des dritten und im vierten Kapitel des Proslogion' und unten 4.6.

4 S.13.

5 Vgl. bes. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 603 ff.

6 Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft möglich. Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt an, und steigen von ihr nach Gesetzen der Kausalität bis zur höchsten Ursache außer der Welt hinauf: oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, d. i. irgendein Dasein, empirisch zum Grunde, oder sie abstrahieren endlich von aller Erfahrung, und schließen gänzlich a priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache. Der erste Beweis ist der physikotheologische, der zweite der kosmologische, der dritte der ontologische Beweis. Mehr gibt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben." Kritik der reinen Vernunft, A 590 f.

7 S. bes. A. Augustinus, De libero arbitrio II, 3-15; De vera religione, 30-32; R. Descartes, Meditationes de prima philosophia III; Principia philosophiae 1, 18.

8 Näheres hierzu, vor allem im Kontext des sog. "transzendentalen Thomismus" J. Maréchals und seiner Nachfolger, s.: Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes, a.a.O., S. 109 ff., bes. die Kritik am Ansatz beim "Fragen überhaupt" (E. Coreth), ebd. S. 72 ff.

9 Summa theologica I, 2,1 obj. 3. Für seine Person hat Thomas dieses Verfahren aber offenbar nicht als sehr fruchtbar bei der Frage nach Gott angesehen, s. ebd. ad 3.

10 Vielleicht versteht jener, der diesen Namen Gott' hört, darunter nicht etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, da man geglaubt hat, Gott sei ein Körperliches." Summa theologica I, 2,1 ad 2. Zur Kritik des Thomas insgesamt vgl. K. Flasch, Die Beurteilung des Anselmianischen Arguments bei Thomas von Aquin, in: Analecta Anselmiana, Bd. IV/l, S. 111-125.

11 Schon hier ist in aller Kürze die Unterscheidung vorweggenommen, die dann später R. Descartes zwischen "realitas obiectiva" und "realitas actualis sive formalis" macht (Meditationes de prima philosophia III) und E. Husserl unter dem Thema der "transzendental-phänomenologischen Reduktion" entfaltet hat (vgl. etwa seine gerafften Ausführungen in der ersten "Cartesianischen Meditation"). - Wie wenig beiläufig das von Anselm gewählte "Beispiel" ist, wird noch deutlich werden (4.3-4.4).


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