Die vergessenen Inhalte. Zur fachlichen Qualität bibliothekarischer Wissensorganisation
Dr. Angela Karasch, Freiburg
Universalistische und fächerneutrale Strukturierungs- und Verzeichnungsmerkmale dominierten die traditionellen Formen bibliothekarischer Wissensorganisation. Hinzu kam (und kommt noch immer) eine deutliche Präferenz formaler Klassifikations- und Präsentationskriterien. Beispielhaft genannt sei nur der Aspekt des Publikationsmediums: Informationen werden bevorzugt medienspezifisch separiert aufbereitet und erschlossen.
Diesen bisherigen Grundmustern bibliothekarischer Wissensorganisation stehen heute - bedingt durch die technischen Möglichkeiten der Informationsvernetzung - zunehmend alineare Präsentationsmuster und Abrufmöglichkeiten von Wissen gegenüber. Vernetztes Vorgehen in der Wissensaneignung heißt verstärkt inhaltsbezogenes, themenorientiertes Arbeiten und erlaubt dank digitaler Informationsaufbereitung und Internet bei der Recherche zunehmend eine Marginalisierung formaler Aspekte der Informationsorganisation. Bibliotheken sollten diesen Veränderungen Rechnung tragen und nun zusätzliche stärker fachlich und damit inhaltlich geprägte Zugangsformen zum Wissen anbieten. Zumindest dort, wo Bibliotheken eingebunden sind in nach Wissenschaftsfächern strukturierten Institutionen wie etwa Universitäten, erscheint es angemessen, auch der bibliothekarischen Wissensorganisation gerade diese deutlichere fachliche Qualität zu geben.
Notwendig ist hierfür u.a. eine Vernetzung der vorhandenen Vielfalt bibliothekarischer Angebote von Wissenszugängen aus der Perspektive ihrer fachlichen Relevanz, eine (auch retrospektive) Verknüpfung der bisher nach Medien- und Informationstypen geschiedenen Informationspräsentationen unter inhaltlichen Gesichtspunkten und ihre Aufbereitung für fachspezifische Nutzungsstrategien. Ein derartiges Bibliotheksangebot bündelt unter fachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten Informationen zum historischen Buchbestand, zu Schwerpunktbildungen der Sammlung und der aktuellen Erwerbung, zu Sonderbeständen bis hin zu Datenbankangeboten, zu Volltexten und Quellen im Internet. Quantitäten an Informationen und Informationszugängen können so unter der Perspektive fachlicher Qualität und Nutzung strukturiert werden und an Aussagekraft gewinnen. Im Zeitalter virtueller Bibliotheken müssen weiterhin Fragen nach der lokalen Verfügbarkeit der Inhalte selbst, nach der Form ihrer Verfügbarkeit, aber auch nach ihrer Relevanz je nach Fach neu beantwortet werden.
Fachorientierte Wissensorganisation in Bibliotheken basiert auf fach- und sammlungszentrierten Erwerbungs- und Erschließungskonzepten und zielt auf eine differenziertere und fachspezifische Nutzerorientierung, die dabei unterschiedlichen Anforderungen und Zielsetzungen zu genügen hat.
Literaturinformation in der Universität - Anforderungen und Erfahrungen in Lehre und Forschung
Univ.-Prof. Dr. Georg Schwedt, Clausthal-Zellerfeld
Auch Studenten der Naturwissenschaften sollten sich bereits zu Beginn ihres Studiums durch Bibliothekare über die Angebote ihrer Universitätsbibliothek unterrichten lassen. Das sichere und gezielte Arbeiten mit Katalogen - als Kartei oder online mittels Computer -, die Standorte von Handbüchern, Zeitschriften, Fach- und Lehrbüchern, der spezielle organisatorische Ablauf in ihrer Bibliothek (Ausleihe, auswärtiger Leihverkehr, Online-Recherchen in Katalogen anderer Bibliotheken usw.) muß jedem Studenten zur Förderung eines effektiven Studiums schnell vertraut sein. Nach dem Grundstudium tritt dann verstärkt ein Bedarf nach speziellen Fachinformationen auf. Die raschen Veränderungen im online-Bereich erfordern eine aktive Kooperation zwischen Fachbibliothekaren und Lehrenden. Eine Integration z.B. auch in Seminare der Hochschullehrer wäre sehr wünschenswert und ist praktizierbar. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit in den Bereichen Auswahl von Fachmonographien, Fachzeitschriften, aber auch Büchern für die Lehrbuchsammlungen verbesserungswürdig. Hier sollten stärker überregionale Möglichkeiten (Bibliotheks-Verbundsysteme) genutzt werden. Die zukünftige Tätigkeit des Fachbibliothekars wird daher neben den klassischen bibliothekarischen Aufgaben verstärkt eine Vermittlung von Informationen über die Techniken gezielter Literatur- und Informationssuche (Recherchen in Datenbanken) aufweisen müssen. Gefordert ist dafür eine sachorientierte und regelmäßige Abstimmung zwischen den Fachbibliothekaren, Lehrenden und Forschenden. Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Bibliothekaren und Wünsche für die Zukunft aus der Sicht eines Hochschullehrers, Wissenschaftlers und Fachbuchautors werden im einzelnen vorgestellt.
Transfer zwischen Wissenschaft und Bibliothek: Beispiele aus der Praxis des Fachreferats Chemie und Verfahrenstechnik
Thomas Hapke, Hamburg
Aufbauend auf Überlegungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Bibliotheksdienstes im Zeitalter digitaler Medien und modernen Managements (Siehe: Auch die "Lean Library" braucht das Fachreferat! Auskunft 18 (1998) 253-268 ) werden Beispiele für Transferleistungen zwischen Wissenschaft und Bibliothek im Fachreferat vorgestellt. Diese werden vor dem Hintergrund der Praxis des Fachreferats Chemie und Verfahrenstechnik an der einschichtigen Universitätsbibliothek der Technischen Universität Hamburg-Harburg beschrieben.
Die Transferfunktion des Fachreferenten bzw. des wissenschaftlichen Bibliotheksdienstes insgesamt verstehe ich ganz im Sinne von Vollers als "die auf wissenschaftlicher Ausbildung basierende Vermittlung zwischen Forschung, Lehre, Studium und sonstiger wissenschaftlicher Arbeit einerseits und bibliothekarischen Einrichtungen und Dienstleistungen andererseits."
Folgende Transferleistungen werden beispielhaft illustriert:
- Neben aktiver Fachinformation in Form von gedruckten Benutzungshilfen oder WWW-Seiten (Siehe z.B. http://www.tu-harburg.de/b/hapke/einleit.html) ist die Beteiligung an kooperativen Erschließungsprojekten notwendig. Die klassische Dienstleistung Online-Informationsvermittlung bleibt weiterhin eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und auf andere Dienstleistungen der Bibliothek hinzuweisen.
- Neben der Schulung sowohl fachbezogener (vgl. http://www.tu-harburg.de/b/hapke/crash_vt.html) als auch allgemeiner (vgl. http://www.tu-harburg.de/b/hapke/recherch/tuhhkurs.html) Informationskompetenz (Information Literacy) sollte die Entwicklung von Curricula für die "Teaching Library" vorangetrieben werden.
- Fachreferenten als Fachinformationsbeauftragte helfen beim Aufbau der Informationsinfrastruktur der jeweiligen Institution (z.B. der Universität) mit. Ein Beispiel für die Beteiligung am Informations- und Wissensmanagement einer Universität kann der Aufbau eines Medienservers sein.
- Eigene wissenschaftliche Tätigkeit (Veröffentlichungen, Vorträge, Ausstellungen) kann den Erfahrungshorizont des Fachreferenten, des Spezialisten für fachspezifische wissenschaftliche Information und Kommunikation, wesentlich erweitern.
Über Berufssorgen und -perspektiven des wissenschaftlichen Bibliothekars.
Marburger Erfahrungen
Dr. Dirk Barth, Marburg
Die Bibliotheken befinden sich in einer Phase des Umbruchs vom Gutenberg- zum digitalen Zeitalter. In dieser Zeit schnellen Wandels verwundert es nicht, daß sich Angehörige bibliothekarischer Berufe Sorgen darüber machen, inwieweit ihre Qualifikationen, Kompetenzen und auch ihre Leistungen in Zukunft noch nachgefragt werden.
Für wissenschaftliche Bibliothekare, die in Hochschulbibliothekssystemen tätig sind, zeichnen sich Perspektiven für eine berufliche Entwicklung ab, wenn sie sich den aktuellen Anforderungen über die klassischen Fachreferententätigkeiten hinaus öffnen, ein umfassendes fachliches Nutzungsangebot unterbreiten und sich dabei auch auf strukturelle Veränderungen einlassen. Aus Marburger Sicht kann nach fünfzehn Jahren praktischer Erfahrungen eine positive Zwischenbilanz gezogen werden.
Das zweischichtige Marburger Bibliothekssystem wird im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen zwischen Fachbereichen und UB in ein kooperativ einschichtiges umgestaltet. Wissenschaftler und Bibliothekare verständigen sich darin auf einen gemeinsamen, arbeitsteiligen Betrieb der jeweiligen Fachbibliothek.
Leiter dieser neuen dezentralen Teilbibliotheken der Universitätsbibliothek sind deren zuständige Fachreferenten, die auch für die Koordinierung der Erwerbungen und die Sicherstellung eines kontinuierlichen Bestandsaufbaus zuständig sind. Sie sind in den betrieblichen und wissenschaftlichen Zusammenhang des jeweiligen Fachbereichs integriert und sorgen für den Zugang zu den erforderlichen konventionellen und digitalen Fachinformationen; sie führen ihre Bibliotheken nach den jeweiligen wissenschaftsfachlichen Erfordernissen. Sie haben die Möglichkeit, ihre Einschätzungen des Bedarfs und der Arbeitsweise des jeweiligen Wissenschaftsfachs unmittelbar in kundenorientiertes Verwaltungshandeln umzusetzen.
Im Rahmen dieser spezifischen Marburger Ausprägung der Einschichtigkeit wird erreicht, daß die bisherige nebenamtliche Leitung dezentraler universitärer Bibliotheken, die durch Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter wahrgenommen wurde, durch eine hauptamtliche Leitung durch ausgebildete Bibliothekare abgelöst wird. Voraussetzung für diesen wichtigen Schritt zu einer weiteren Professionalisierung des Berufs ist auf bibliothekarischer Seite die Akzeptanz der funktionalen Arbeitsteilung und ein Selbstverständnis als praxisorientierter Dienstleistungsberuf.
Angesichts der sich wandelnden Strukturen der universitären Bibliothekssysteme wird der wissenschaftliche Bibliothekar der Zukunft Bibliotheksverwalter (Manager), Fachreferent und Informationsdienstleister sein müssen. Die Kontinuität des gesamten bibliothekarisch-informatorischen Aufgabenfeldes ist gefragt.
Durch die skizzierte Entwicklung konnte die Stellung der wissenschaftlichen Bibliothekare im Marburger Bibliothekssystem gestärkt werden.
http://www.ub.uni-freiburg.de/bibtag99/abstract/02.html
Letzte Änderung:
30.04.1999
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Gestaltung: Christina Willaredt
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